Erwachsen bilden #21 – Feel the Flow!

Manchmal wird man beim Studieren auf etwas aufmerksam, dass man schon mal gesehen, gehört, durchdacht hatte, ohne zum damaligen Zeitpunkt recht auf einen grünen Zweig gekommen zu sein. Das ist nicht ungewöhnlich, denn Wachstum braucht gelegentlich nicht nur den richtigen Anstoß, sondern auch den richtigen Flow. Doch was ist das überhaupt – dieser Flow? Sportler sprechen davon, aber sonst… haben wahrscheinlich nicht so viele Menschen eine klare Vorstellung davon. Ich kannte den Begriff zwar, habe damit aber früher eher den richtigen Groove verwechselt; und auch, wenn Musik manchmal als Tor für Stimmungen und Inspirationen dienen kann, so nutze ich sie doch meist gezielt, um diesen Prozess zu katalysieren, bewusst hervorzurufen und darin zu schwelgen. Und erreiche damit tatsächlich auch einen Flow-Zustand.

Mihály Csíkszentmihályi, Psychologe und Urheber der Flow-Theorie beschreibt Flow als das Erleben eines Moments der optimalen Erfahrung. Flow beschränkt sich dabei nicht auf körperliche Tätigkeiten, bedarf des absichtsvollen Tuns, einer definierten Schwierigkeit, die nicht unter- aber auch nicht zu sehr überfordert und dem Wunsch, die Sache um ihrer selbst Willen zu tun. Damit kann auch der Dilettant – hier im besten Wortsinne gemeint – in den Zustand des Flows kommen. Auf den Passus “um ihrer selbst Willen” kommen wir später noch einmal zurück, doch wenn man sich den Rest der Definition anschauen, ist hier die Rede von pädagogischem Handeln im besten konstruktivistischen Sinne.

Absichtsvolles Tun, ausgelöst durch eine pädagogische Intervention, die einen Mittelweg zwischen Unter- und Überforderung in der Beschäftigung mit einem Lerngegenstand weist; für mich klingt das so, als wenn wir als Berufspädagogen dazu aufgerufen wären, Flow in unseren Schülern zu erzeugen, weil wir dadurch deren Freude am Lernen durch positive Selbstwirksamkeits-Erfahrungen stärken könnten. Zwar ist das Buch zum Thema keine How-To-Anleitung und bedarf an einigen Stellen einer behutsamen Transponierung ins Erwachsenenpädagogische; dennoch lohnt sich die Beschäftigung, wie ich finde sehr. (übrigens nicht nur für die Lehrer, sondern auch für Schüler, wenn diese denn bereit sind, sich der Lektüre aufmerksam zu widmen. Das ist nichts für Blinkist©; ich finde diese App im übrigen schlecht…).

Was nun das Tun um der Sache selbst Willen angeht: Csíkszentmihályi geht im Buch davon aus, dass eine Beschäftigung mit einer bestimmten Sache nur dann einen Flow-Zustand auslösen kann, wenn diese autotelisch motiviert ist; wenn ich mich also ohne externen Druck auf ein Ding konzentriere, einfach, weil es für mich einen Sinn ergibt. Mache ich mich dabei jedoch von Erfolg/Misserfolg-Mustern abhängig, gibt’s keinen Flow. Exotelische (oder extrinsische) Motivation, die sich aus (beruflichen) Notwendigkeiten oder dem Wunsch, glänzen zu können (narzisstisch) speist, würde nach seiner Forschung also keinen Flow-Zustand herbeiführen können – oder zumindest nur sehr selten.

Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich so stimmt, denn ich habe auch in beruflichen Kontexten, in denen ich externem Druck unterworfen war, bereits solche Zustände erlebt. Aber zugegebenermaßen war dies weitaus häufiger bei Tätigkeiten der Fall , die ICH tun wollte, einfach, weil ICH sie tun wollte. Vermutlich hängt es im pädagogischen Kontext also nicht nur mit der hoffentlich anregenden Gestaltung einer Lernsituation zusammen, sondern auch mit der Art, wie wir das Zusammenwachsen einer Klasse fördern können; und vor allem, ob wir in der Lage sind, dass allzu frühe Entstehen einer Rangfolge (und Hackordnung) innerhalb derselben zu verhindern, um allen eine Chance auf Flow-Erlebnisse geben zu können. Denn eine weitere wichtige Botschaft ist: Flow bedeutet nicht nur Freude, sondern auch persönliches Wachstum durch Erfahrung, die gerne gewonnen wird. Was in der Folge allerdings auch bedeutet, dass die Umstände, unter denen der Flow-Zustand entstehen kann mit fortschreitender individueller Entwicklung immer wieder neu austariert/erweitert werden müssen.

Insgesamt ein spannendes Thema, das nicht nur aus meiner pädagogisch-fachlichen Sicht, sondern auch aus der Perspektive persönlicher Entwicklung einen Blick wert ist. In diesem Sinne wünsche ich eine schöne Woche.

New Work N°0 – Erwachsen bilden meets New Work

“New Work”. Viele betrachten den Terminus als Hirnwichserei irgendwelcher White-Collar-Worker, die keine Ahnung von “echter Arbeit” haben. Was im Geiste dieser Menschen mit “echter Arbeit” gemeint ist, wird denn auch ganz schnell klar, nämlich Maloche; oder anders ausgedrückt, körperliche Arbeit. Um es gleich vorweg zu nehmen: die Art von körperlicher Arbeit, welche den meisten dabei in den Sinn kommt, wird immer weniger. Und dieser Trend wird sich auf Grund der fortschreitenden Automation weiter Bereiche unserer Industrien fortsetzen. Es wird zumindest in den nächsten Jahrzehnten noch einen Restbestand an körperlicher Arbeit geben, den Maschinen noch nicht erledigen können. Aber dieser schrumpft. Und damit entsteht automatisch mehr andere Arbeit, die mit Wissen und Kenntnissen zu tun hat und – tadaaa – im Büro stattfindet.

Es gibt allerdings zwei Bereiche, die davon zumindest teilweise ausgenommen sind – nämlich Education und Care Work. Weil sich die (wichtigen) sozialen Komponenten beider Arbeitsgebiete kaum maschinell abbilden lassen. Selbst wenn es es möglich wäre, zum Beispiel Krankenhauspatienten das Essen von einem Roboter servieren zu lassen, fehlt hier doch die menschliche Zuwendung, welche einen Genesungsprozess befördert. Gleiches gilt für den Unterricht in der Allgemein – und Berufsbildung. Auch hier ist ohne die sozialen, emotionalen und motivationalen Komponenten nichts zu erreichen. Und die gehen nur mit der Interaktion mit echten anderen Menschen einher. Was nichts daran ändert, dass genau diese beiden Bereiche unterbesetzt, unterfinanziert und organisationell-strukturell höchst reformbedürftig sind. Aber das soll hier und heute nicht das Thema sein.

Gehen wir nun also davon aus, dass der Anteil der Wissensarbeit am Gesamtvolumen der wirtschaftlichen Leistung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch zunehmen wird, stellt sich relativ schnell die Frage, wie wir diese besser organisieren können. Lasse Rheingans, Geschäftsführer der “Digital Enablers” aus Bielefeld gibt dazu eine interessante Antwort: seit 2017 arbeiten seine Mitarbeiter nur 5h/Tag; und erreichen anscheinend trotzdem eine annähernd gleichbleibende Arbeitsproduktivität! Natürlich fragt man sich wie das geht? Doch wenn man einen typischen individuellen Arbeitstag im Büro einmal danach befragt, was denn tatsächlich erreicht wurde, fällt die Bilanz manchmal recht ernüchternd aus.

Zeit wird – und da nehme ich mich gewiss nicht aus – vor allem vertändelt mit vollkommen unnötiger Dauererreichbarkeit und /oder Dauerverfügbarkeit. Oder mit Meetings und Gesprächen, die sich immer wieder um die gleichen Fragen drehen, ohne jemals den Prozess (oder die Person!) zur Disposition zur stellen, der (die) eigentlich das Problem verursacht. Durch Unterbrechungen, die einen hernach dazu nötigen, sich mühevoll wieder in einen komplexen Sachverhalt hineindenken zu müssen. Und schließlich: mit informellem Tratsch, der zwar hier und da als sozialer Kitt dienen mag, aber letztlich NICHTS mit der Arbeit zu tun hat. Dazu zählt zum Beispiel auch das übliche Geplänkel am Wasserloch (Kaffeemaschine / Wasserkocher / Trinkwasserspender).

Nun kann man das Soziale kaum ausklammern. Aber, wenn man zumindest unnötige Unterbrechungen minimiert kommt man viel leichter in einen echten Flow, bei dem man auch wirklich was wegarbeiten kann. Und zwar wesentlich mehr, als man unter den genannten Vorzeichen in der selben Zeitspanne geschafft hätte. Dazu ist allerdings die Erfüllung mehrerer Grundvoraussetzungen notwendig:

  • Telekommunikation nur zu bestimmten, vordefinierten Zeiten (nicht dauernd auf E-Mail, Threema, Telegram. Whatsapp, Slack und was weiß ich nicht noch alles achten)!
  • Tür zu! Dieser Punkt wird in Büros, in denen sonst open-door-policy geherrscht hat, anfangs zu Irritationen führen, ist aber essentiell. Ich habe es irgendwann schon mal beschrieben, dass irgendwelche Menschen einfach durch die Tür gelatscht kommen und ansatzlos anfangen, mich mit ihrem Scheiß zuzutexten, obwohl ich noch keinerlei Gesprächsbereitschaft signalisiert habe. Sowas ist schlicht unhöflich und distanzlos; mal davon abgesehen, dass ich vielleicht gerade in eine hoch komplexe Materie vertieft bin, die – wirklich – meine ganze Aufmerksamkeit fordert. Also macht die Tür zu, wenn ihr konzentriert arbeiten wollt; oder nutzt irgendein Tool / Device, dass euch störungsfreies Arbeiten ermöglicht.
  • Meetings nur, wenn es auch wirklich etwas zu besprechen gibt. Ansonsten sind sie verschwendete Arbeits- und auch Lebenszeit. Vieles lässt sich heutzutage exzellent digital darstellen und ein GANTT-Chart o. Ä. lesen zu können, würde ich von einem Projekt-Verantwortlichen jetzt einfach mal erwarten wollen.
  • Schränkt das Gelaber am Wasserloch ein – oder verschiebt es auf die Arbeitsfreie Zeit. Klingt hart, bringt aber viel.

Bevor jetzt irgendjemand denkt, ich wäre so ein knallharter Manager-Typ: NÖ BIN ICH NICHT! Ich will aber auch nicht unnötig viel Zeit auf Arbeit verbringen. Irgendwann werde ich meinen Chefs noch beibringen, dass Präsentismus im Büro Käse ist und das selbst organisiertes Arbeiten alle Beteiligten in vielerlei Hinsicht weiter bringt; z.B. durch erhöhte Arbeitseffizienz und -produktivität. Aber vor allem durch höhere Zufriedenheit und in der Folge eine höhere Arbeitnehmerbindung. Oha, klingt das jetzt vielleicht interessant?

Zu guter Letzt eine ketzerische Frage zum Thema Work-Life-Balance und Entgrenzung der Arbeit, die ich selbst so vorher noch nie betrachtet habe: wenn ich daheim ein Buch lese, dass mich einfach interessiert hat und nun feststelle, dass es doch durchaus einen Bezug zu meinem Job hat – ist dass dann Arbeit oder doch Freizeit? Zur Info: ich selbst meditiere auch noch über eine abschließende Antwort, bin aber im Moment geneigt, die Antwort “Es kommt darauf an…” zu favorisieren. In diesem Sinne wünsche ich euch eine schicke neue Woche in Absurdistan…

Erwachsen bilden #19 – Best Practice

Schon irgendwie witzig, wie man sein eigenes Tun als Käse entlarvt, je tiefer man sich mit Methoden und Theorien befasst, die sich abseits des Tellerrandes bewegen. Studium ist ja im besten Sinne dazu geeignet, sich seines eigenen Geistes zu bemächtigen; sofern man sich denn darum bemühen möchte. Die voran geschrittene Verschulung mancher Studiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses war manchem Vertreter deutscher Hochschulen von Anfang an ein Graus. Und man könnte trefflich darüber streiten, ob die im Rahmen der Bachelorisierung angestrebte Akademisierung mancher Berufsgruppen nicht vielleicht doch an den Realitäten des dualen Systems der Berufsbildung in Deutschland vorbei geht. Das ist aber heute nicht das Thema…

Jedenfalls bemerke ich, dass frischer Wind durch meinen Geist weht, wenn ich mich mit den Subjekten meines Studiums befasse. Ich spüre die Erweiterung meines kognitiven Horizonts und bekomme gleichzeitig neue Ideen und Ressourcen für meine praktische Arbeit. Tolles Ding soweit. Was ich besonders erfrischend finde, ist der Umstand, dass keiner der Profs den Inhalt seiner Vorlesungen als Anleitung zur Best Practice verstanden wissen möchte, sondern im besten Falle als Anregung, seine eigene “best contemporary practice” zu finden – also die gegenwärtig bestmögliche Art, “Es” zu tun (was auch immer “Es” denn auch sein mag).

Nun bin ich Pädagoge und “Es” ist natürlich zuallererst unterrichten. Gewiss muss ich mich mittlerweile auch mit solchen Dingen wie Qualitätsmanagement, Personaleinsatzplanung, Curriculums-Entwicklung etc. herumschlagen. Aber ich will nun ehrlich sein, meine wahre Leidenschaft ist der Lehrsaal – und es ist immer die Leidenschaft, die Leiden schafft… Denn sein berufliches Handeln zur best practice zu deklarieren bedeutet: Stillstand. Stagnation geht aber immer mit Rückschritt einher, denn die Welt bleibt ja nicht stehen, nur weil ich das möchte. Ich habe und hatte mit solchen Menschen zu tun. Und neuerdings auch häufiger mit jenen, die noch nicht erfahren genug sind, stetige Methodenreflexion als wertvoll zu begreifen und lieber vorgefertigte Lösungen für den Unterrichtssaal hätten, die jedoch allzu oft mit methodologischem Dogmatismus einher gehen.

Das ist der Grund, warum ich mir ein Referendariat für Lehrer an Berufsfachschulen wünsche. Denn viele der (zumeist noch sehr jungen) Kolleginnen und Kollegen, die gerade irgend so einen Bachelor an irgend so einer (zumeist teuren, privaten) Hochschule machen, bekommen die volle Breitseite zeitlich eng gespurter, verschulter Bildungshappen, die zum Prüfungszeitpunkt regurgitiert werden müssen. Verbunden mit einem Mangel an reflektierter Methoden-Kritik. Denn das Versprechen dieser Studiengänge ist, möglichst schnell auf den Arbeitsmarkt punkten zu können. Aber die wissenschaftliche Arbeit lebt von der Methoden-Kritik. Würden wir die Dinge immer noch genauso wie vor 500 Jahren tun, hätten wir die Renaissance vielleicht nie hinter uns gelassen.

Es ist erst die wissenschaftliche Arbeit, das Spiel mit unterschiedlichen Theorien und Konzepten, der Blick über den Tellerrand und die Kritik an Methoden und Programmen, die unser Verständnis von der Welt und unserer Profession so zu schärfen vermag, dass wir die Ambiguitäten und Ambivalenzen des Lehrsaales aushalten lernen; das wir stets rege und flexibel bleiben – und vor allem bereit, lieb gewonnene Angewohnheiten und angestaubte Konzepte abzulegen und etwas Neues zu versuchen; immer in der Hoffnung, dass daraus eine neue best comtemporary practice werde. Ich scheitere lieber drei Mal, als dass ich einmal stehen bleibe.

Ich bin dieser Tage kritisiert worden, weil ich es aus Sicht des Kritikers unterlassen habe, bestimmte Informationen zu Fortbildungsveranstaltungen auf unterschiedlichen Medien zu kommunizieren. Ich habe darauf verstockt reagiert, weil auf Grund der betrieblichen Übung alle Informationen als gegeben betrachtet werden könnten – und ich überdies schlicht keine Zeit mehr dazu hatte. Er wies darauf hin, dass andere Subsysteme unserer Organisation das besser machen würden. Wer hat nun Recht? Keine Ahnung. Aber ich vermute, dass sein Tonfall, der aus meiner Sicht den Passus “konstruktiv” konterkarierte mich mehr auf die Palme gebracht hat, als angemessen gewesen wäre. Warum ich das hier thematisiere? Nun, weil es zeigt, dass meine “contemporary practice” diesbezüglich von “best” ein Stück zu weit entfernt ist. Ich wünschte nur, es wäre anders – nämlich tatsächlich konstruktiv und nicht … egal … – kommuniziert worden. Aber da bin ich wohl Idealist. Sei’s drum. Ich muss nicht jedermanns Freund sein. Schönes Wochenende.

Erwachsen bilden #18 – Persönlichkeitsentwicklung…?

Man liest seine Studienbriefe. Und dann kommt manchmal so ein Punkt, an dem einem die Frage gestellt wird, ob man die rote oder die blaue Pille nehmen möchte. Nein – da sitzt natürlich man nicht mit Laurence Fishbure in seinem fancy Kostümchen in einem Abbruchhaus und der gerade macht seelenruhig einen auf Morpheus. Diese durchaus eigenwillige Umdeutung des Gottes der Träume darf ruhig rein cineastisch bleiben. Aber man findet sich auch bei wissenschaftlichen Betrachtungen gelegentlich mit der Frage wieder, welcher Argumentationslinie man lieber folgen möchte. Fühlt man sich der Wissenschaft als solcher verpflichtet, wird man so lange als möglich allen gerade noch überschaubaren Pfaden folgen wollen. Aber irgendwann erarbeitet man für sich selbst einen Grad an Plausibilität der einen oder anderen Argumentationslinie, den ein weniger wacher Geist auch mit Gewissheit verwechseln könnte.

Es sei einmal mehr bekräftigt: Wer sich einer Sache gewiss wähnt, ist bereits auf halbem Wege zum Dogmatismus. Sokrates sagte nicht umsonst “Ich weiß, dass ich nicht weiß.” Er will uns damit auf die Verblendung hinweisen, die aus verfestigter Gewissheit erwachsen kann. Daher begnügt man sich – speziell in dem Sozial- und den Geisteswissenschaften – üblicherweise damit, hinreichend Erklärungshaltige Theoriegebäude zu formulieren, um diese dann genüsslich wieder einreißen zu können, wenn mal eine neue Erkenntnis daher kommt. Diese Vorläufigkeit des Wissens ist es, die mich stutzig werden lässt, wenn ein Studienbrief über das Thema Persönlichkeits- und Kreativitätsförderung referiert.

Dem Konstruktivisten in mir stellt sich nämlich sofort die Frage, welche theoretischen Interventionsmöglichkeiten ich – im Angesicht der individuellen Konstruktion von Realität durch den Teilnehmer in sich selbst- denn überhaupt haben könnte, hier Eingriff nehmen zu können? Und der Humanist fragt sich, welche Berechtigung ich als Pädagoge dazu haben könnte? Denn allein der Begriff legt – nach meiner Lesart – eine Defizit-orientierte Grundhaltung an den Tag, die mich nach den Kriterien für die normative Anwendung deskriptiver Methoden fragen lässt. Natürlich ist die Frage ein bisschen ketzerisch, denn prinzipiell werden solche Eingriffe regelmäßig – mit mehr oder weniger Erfolg – durchgeführt: nämlich in der Psychotherapie. Und da kommen Methoden der Gesprächsführung und der Sprachanalyse zum Einsatz, die erprobt und in vielen Fällen sehr hilfreich sind.

Dennoch muss man sich als Pädagoge meines Erachtens sehr wohl mit der Frage auseinandersetzen, wodurch und inwieweit solche, eigentlich zur Therapie pathologischen Verhaltens gedachte, Instrumente im regulären Unterricht ihren Platz haben könnten. Es ist ja nicht so, dass meine Schüler in der Mehrzahl psychopathologisches Verhalten zeigen. Die Grundhaltung scheint mit auch eher der Idee zu entspringen, Menschen zum Erreichen ihres bestmöglichen Selbst verhelfen zu wollen. Das klingt vielleicht nach einem tollen Ziel; es bleibt indes für mich der fade Geschmack der Defizitorientierung. Oder, etwas anders formuliert, die Frage, in wie weit als wünschenswert beschriebenes Verhalten tatsächlich der Person selbst dient? Oder nicht doch eher dem Staat als Ruhe stiftender Institution und potentiellen Arbeitgebern für deren Wertschöpfung? Ist Devianz stets schädlich, oder nicht vielleicht doch gelegentlich ein Hinweis auf (nützliches?) unabhängiges Denken.

In meinem Hinterkopf spielen dabei “1984”-Szenarien weniger eine Rolle. Dystopien dieser Art sind schöne Gedankenspielereien, jedoch – allen “Diktatur”-Rufern in der Corona-Zeit zum Trotz – weitab der hiesigen Realität. Dennoch ist der direkte Zugriff auf die Teilnehmer mittels Strategien aus dem psychotherapeutischen Arsenal ein zweischneidiges Schwert, da die individuelle Autonomie meiner Schüler unbedingt erhalten bleiben soll. Ich denke vermutlich zu weit, doch ich kann das begründen; nämlich, weil ich allenthalben Idioten sehe, die Führern zu den Aluhuten auf den Leim gehen. Mündigkeit im Sinne einer entwickelten Menschenwürde bedarf nämlich vor allem der Fähigkeit und des Willens auch abseits der Mehrheitsmeinungen seinen Weg finden zu können. Ob wir dem als Pädagogen dienen, oder es verhindern liegt auch an unserem eigenen Handeln und Unterlassen im Lehrsaal und im mobilen Ausbildungsort RTW.

Ich muss über diesen Aspekt noch eine ganze Weile nachdenken; und ich kann es nur in meinen Kolleginnen landauf, landab anregen, das auch zu tun: Nachdenken, welchen Einfluss ich auf meine Schüler/Auszubildenden nehme und ob dieser Einfluss DENEN dient, oder einer Vorstellung, die ICH in meinem Kopf habe? Ich würde mich freuen, wenn wir darüber ins Gespräch kämen. Gute Nacht…

The new normal bullshit mountain…

Gewöhnung ist eingetreten. Gewöhnung an physical distancing, an Schließungsmaßnahmen, Maskenpflicht, Versammlungsbeschränkungen, etc. Allerdings lässt dieser Gewöhnungs-Effekt stark nach, weil die Leute wieder Normalität haben wollen. Ich meine neulich schon mal gesagt zu haben, dass die alte Normalität scheiße war und dass die Neue nicht danach aussieht, wesentlich besser zu werden – oder, präziser gesprochen: in wesentlichen Belangen besser zu werden. Nichtsdestotrotz gehen die Leute auf die Straße, weil sie mit den Maßnahmen nun nicht mehr einverstanden sind. Und demonstrieren dabei nicht nur für ihre Rechte, sondern auch, dass sie weder den Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation, noch die Bedeutung von Solidarität verstanden haben. Wie ausgesprochen traurig.

Selbst das “Handelsblatt” – seiner Funktion nach nicht gerade ein Hort des Gemahnens der sozialen Ungleichheit liefert dieser Tage einen ungewöhnlich ausgewogenen Teil-Artikel darüber ab, dass vor allem Kinder durch die Corona-Maßnahmen benachteiligt würden; um im Nachgang dann doch noch die, vom Ifo-Institut einfach mal ohne nennenswerte wissenschaftliche Solidität in den Raum geworfenen 5,4 Billionen sozialer Kosten durch das Absinken des Bildungsniveaus zu verwursten. Na ja… “Wirtschaftswissenschaftler” machen bei Prognosen halt vor allem Voodoo… Dass hier wieder eifrig das Bild des Homo Oeconomicus gepflegt und alles auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Individuums verengt wird, stimmt mich ebenfalls traurig.

Doch die anderen Argumente des Artikels sind durchaus bedeutsam: es ist Kindern und Jugendlichen schwer zu erklären, warum sich alles andere schrittweise normalisiert, ihr Leben jedoch nach wie vor erheblich eingeschränkt bleibt – mit dem diffusen Argument, dass ihre generelle Verantwortungslosigkeit keinen Normalbetrieb zulässt. Nun ja, diese können sie dieser Tage vor allem bei den Erwachsenen beobachten, die den Mund-Nasen-Schutz für ein Kinn-Accessoire halten, allenthalben und sehr lautstark ihre unfassbaren Einschränkungen beklagen und beim Abstand-Halten bestenfalls auf eine 5+ kommen. Was jedoch die, implizit unterstellte kindliche Verantwortungslosigkeit angeht: ist es nicht eher so, dass wir “Erwachsenen” – was auch immer dieser Begriff bedeuten mag – unsere eigenen Defizite auf unsere Nachkommen projizieren?

Mein Kerngebiet als Pädagoge liegt zwar definitiv im Bereich der Berufsbildung; doch auch meine dort im Zusammenhang mit dem Lockdown gemachten Erfahrungen bringen mich zu der Auffassung, dass die sozialen Kosten – und damit meine ich explizit nicht vermutete volkswirtschaftliche Ausfälle, sondern die sozial-psychologischen Auswirkungen auf jeden Einzelnen von uns – einen Break-Even haben. Wir müssen hier tatsächlich Art. 1, Abs, 1 GG gegen Art. 2, Abs. 2 abwägen. Was beinhaltet denn die Würde eines Menschen? Folgt man della Mirandola, so liegt die Würde des Menschen gegenüber der Natur darin begründet, dass er sein Wesen selbst erschafft. Man könnte das verstehen als die Fähigkeit zur Schöpfung der eigenen Identität und des eigenen Zweckes aus sich selbst heraus. Ob irgend ein anderes Wesen dazu im Stande ist, konnte bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Kant begründet die Würde in der gegebenen Vernunft des Menschen, durch die dieser sich sein eigenes Gesetz geben und damit autonom (von der Natur) werden kann. Nach diesen Überlegungen ist die weitere Vernachlässigung des Schul- und KiTa-Betriebes gegenüber den, rein wirtschaftlich begründeten, anderen Lockerungen ein bewusstes Unterlassen der Bildung unserer Kinder und Jugendlichen – mit der Konsequenz, dass sie u. U. wichtiger Ressourcen zur Entwicklung ihrer Identität und Reifung ihrer Vernunft beraubt werden. Und das ist ein klarer Verstoß gegen die Menschenwürde! Was nun einzig bleibt, ist die Frage, ob die Würde unserer kommenden Generationen, zumindest in Teilen für die körperliche Unversehrtheit zugegebenermaßen schwer abgrenzbarer Teile unserer Bevölkerung geopfert werden darf?

Ganz ehrlich – ich weiß es auch nicht! Aber jeder, der aus purem Egoismus, oder aber aus persönlicher Überforderung nach Lockerungen ruft, begibt sich ebenso auf den “new normal bullshit mountain” der Unreflektiertheit, wie jene, die unsere Kinder aus Angst um die Gesundheit der Risikogruppen am liebsten bis zur unbegrenzten Verfügbarkeit eines sicher wirksamen Impfstoffes wegsperren würden. Ich halte das auch nicht mehr lange aus: das Warten auf die Entwicklung der Vernunft bei all den vielen Meinungen. Na ja, vielleicht ist da doch gar nicht so viel schützenswerte Würde (und damit Vernunft) in den Menschen. Zumindest ist sie oft nur sehr schwer auszumachen. Ich gehe jedenfalls morgen wieder unterrichten. In Präsenz. Mit Hygienemaßnahmen. Aber ohne Angst. Und ihr so…?

Auch zum Hören…

Erwachsen bilden #17 – Datenschutz olé!

Ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit für die breite Masse der Lehrkräfte sagen, aber soweit ich das in meinem persönlichen Umfeld überblicken kann, nutzen viele, sowohl in der Grund- als auch in der Berufsbildung private Geräte wie Laptops, Tablets, Convertibles, Kameras etc. im, bzw. rund um den Unterricht. Mir geht das nicht anders. Und ich stelle fest, dass die Nutzung sogar einen gewissen Convenience-Faktor hat, weil ich an diese Geräte gewöhnt bin, dadurch deren Funktionalitäten kenne und sinnvoll nutzen kann. Allerdings ist eine derartige Nutzung der eigenen IT-Infrastruktur ein zweischneidiges Schwert.

Natürlich könnte man jetzt sagen, dass der Arbeitgeber gefälligst vernünftige Ausstattung zur Verfügung zu stellen hat. Und im Grundsatz stimmt das auch. Dies lässt jedoch außer Acht, dass eine vom AG gestellte Infrastruktur häufig den eigenen Ansprüchen an den Workflow kaum genügen kann/wird; insbesondere, wenn man selbst bereits an bestimmte Hersteller und deren Systemumwelten gewöhnt ist und der AG etwas vollkommen anderes beschafft, z.B. aus Kostengründen; oder weil das technische Know-How fehlt. Nimmt man noch das Thema Datenschutz in Betracht, wird es richtig kompliziert. Werden nämlich Schüler/Teilnehmer-Daten auf privaten Endgeräten verarbeitet, entsteht allein daraus zumeist ein Verstoß gegen die DSGVO. Und das so etwas irgendwann die Datenschutzbeauftragten der Länder auf den Plan zieht, ist auch klar.

Doch wie hätte in vielen Fällen Distance-Learning in Corona-Zeiten ohne den Rückgriff auf schnell verfügbare, vertraute und wohl beübte Techniken aus dem privaten Umfeld funktionieren sollen? Diese Frage stellt sich auch mit Blick auf diesen Artikel. Nun Lehrer für die Nutzung von Plattformen wie Zoom oder Whatsapp für den Online-Unterricht auf Basis von Datenschutzverstößen abmahnen zu wollen, erscheint vor dem Hintergrund der schlechten digitalen Infrastruktur an der Mehrzahl der deutschen Schulen wie Hohn. Diese Techniken und Plattformen stellen leider nun mal günstige Alternativen für Out-of-the-box-Lösungen dar. Sich einerseits genötigt zu sehen, dass zu nutzen, was halt gerade zur Verfügung steht, um den Schülern, die für die Situation ja nichts können, wenigstens irgendeine Form von Betreuung anbieten zu können und dann dafür eventuell abgestraft zu werden? Ich würde ab morgen auf Dienst nach Vorschrift zurückfallen.

Unterrichtsvorbereitung in meiner Freizeit? Nö, gibt’s nicht mehr. Zusatzaufgaben im Schulbetrieb ohne Entgelt? Macht doch in der freien Wirtschaft auch keiner. Korrekturen am Wochenende? Spinnt ihr vollkommen? Wie man es auch dreht und wendet, ohne das – sehr häufig nicht ausreichend honorierte – Engagement vieler Lehrkräfte wäre das Bildungswesen in Deutschland noch wesentlich weniger leistungsfähig, als es das eh schon ist. Aber wir sind ja nur Pädagogen; wir produzieren ja nichts, wir sind ja keine Leistungsträger… Nur damit es an dieser Stelle einmal mehr laut und deutlich gesagt sei: Pädagogen bereiten den Weg für die Zukunft! Ohne unsere Arbeit gibt es keine Zukunft! Wer das immer noch nicht verstanden hat und wieder einmal aus strategischen Interessen irgendeinen Konzern rettet, den eigentlich niemand braucht, den brauche ich auch nicht! Nie wieder!

Ohne Zweifel ist Datenschutz wichtig. Die Privatsphäre unserer Schüler / Teilnehmer ist ein hohes Gut, denn das Private soll eigentlich unser Rückzugsort vor den Interessen der Arbeitgeber und der Politik sein. Die möglichen Strafandrohungen zeigen jedoch, dass der Datenschutzbeauftragte nichts verstanden hat – denn die eigentlichen Geschädigten sind die Lehrkräfte, die mit eigenem Kapital und eigener Kraft strukturelle Defizite ausgleichen, welche die Politik in beinahe jahrzehntelanger Missachtung der legitimen Bedürfnisse unseres Grund- und Berufsschulwesens produziert hat. Anstatt zu entlasten werden jedes Jahr höhere gesetzliche Hürden und Ansprüche formuliert, ohne dass es gleichwertige Kompensationen für den Mehraufwand gibt. Und die Hürden und Ansprüche reflektieren noch nicht einmal die tatsächlichen Bedürfnisse.

Ich könnte es ja verstehen, wenn man Praktiker die Regeln machen ließe. Doch stattdessen gibt man Verwaltungsjuristen eine Spielwiese, auf der sie sich austoben und mächtig fühlen dürfen und die wahren Notwendigkeiten des jeweiligen Feldes finden kaum, oder auch mal gar keine Beachtung. Und dann kommt auch noch so ein, allzu häufig nutzloser Landesbeamter daher und schlägt wahren Leistungsträgern derart ins Gesicht? Tja, dann weißt du wieder mit Sicherheit: du lebst in Deutschland – Datenschutz olé!

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Erwachsen bilden #16 – Technik ist Trumpf?

Ich gebe es an dieser Stelle immer mal wieder ganz gerne zu – ich bin ein technikaffiner Mensch, ich spiele gerne mit (neuen) Gimmicks und versuche dabei meist selbstständig herauszufinden, wie etwas funktioniert – früher bedeutete das: ich (in der Hinsicht typisch männlich) nahm die Bedienungsanleitung erst zur Hand, wenn es gar nicht anders ging. Nun werden mit zunehmendem Alter die Gimmicks teurer und komplexer. Überdies hat meine jugendliche Sturheit mutmaßlich mindestens ein Gerät getötet. Also bin ich heute um einiges vorsichtiger und lese Manuale. Ich bin dabei immer noch ungeduldig, aber auch das wird sich irgendwann im nächsten Jahrzehnt noch geben … hoffe ich …

Man ist im Unterrichtsalltag ja dazu aufgerufen, einen gewissen Methodenpluralismus zu beüben. Will heißen 24 Powerpoint-Folien/Sekunde = Film sollte eigentlich – vor allem in der offiziell Lernfeld-zentrierten Berufsausbildung – nicht mehr vorkommen. Insbesondere deswegen, weil visuell aufbereitete Informationen in einer prozessualen Struktur wie unserem Gesundheitswesen – genau wie Medikamente – eine Halbwertszeit haben. Was bedeutet, dass man Foliensätze irgendwann auch mal bearbeiten, bzw. korrigieren muss. Das wird offensichtlich allenthalben gerne mal vergessen.

Nun ist es so, dass die zwei vorgenannten Mechanismen in ihrer Dualität tödlich für den Unterrichts-Erfolg wirken können; und das auf verschiedene Arten:

  • Materialien, deren Informationsgehalt überaltert, führen zu nur teilweise korrekten oder sogar vollkommen falschen Lehr-Aussagen der Dozenten => jeder Dozent ist dazu verpflichtet, sein Fachwissen regelmäßig zu überprüfen und evtl. durch die Evidenz überholte Aussagen zu korrigieren.
  • Dem Dozenten mangelt es an Zeit, die vorgenannte Aufgabe angehen zu können, weil dafür keine Deputate vorgesehen sind => strukturelles Problem, dass sich leider – auch wenn Chefs das gar nicht so gerne hören im Sinne einer besseren Lehre nur mit Geld bewerfen lässt; also mit mehr Deputaten und damit mehr Personal…
  • Methodenpluralismus unterbleibt auf Grund mangelnder Medienkompetenz der Dozenten => diese muss aufgebaut, bei Bedarf angepasst und erhalten werden; womit wir wieder bei der Personal-Problematik wären. Aber gute Lehre kostet halt Geld!
  • Methodenpluralismus geschieht, doch Medien werden eingesetzt, weil es “cool” ist, diese Medien einzusetzen => Medium und Content lassen sich nicht auf beliebige Art voneinander trennen und re-kombinieren. Manchmal verlangt die Struktur einer Information nach einem bestimmten Transportmittel, manchmal nicht. Hier sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, ist aber trainierbar.
  • Das eben Gesagte gilt genau gleich auch für technische Gimmicks, die im Unterricht zu Einsatz kommen (sollen). Man muss immer hinterfragen, aus welchem Motiv heraus ich eine Technik einsetze. Wenn’s nur darum geht, dass die Technik geil ist – LASST ES!

Auch mich juckt es immer wieder in den Fingern, wenn ich was Neues vor die Flinte kriege. Von Hochglanz-Prospekten mit vollmundigen Werbeversprechen (“… das wirkt Wunder für Ihren Workflow!”) sollte man sich eigentlich schon lange nicht mehr beeindrucken lassen; und doch, und doch… Ich habe da meine persönliche “Rule of Cool”. Wenn mich etwas flasht, klicke ich es weg und schaue es mir am nächsten Tag genauer an. Wenn mich irgendwas daran immer noch flasht – ihr ahnt es schon – lege ich es weg und schaue es ein paar Tage später noch mal an. Dann beginne ich zu recherchieren: Nutzer-Erfahrungen (aber bitte nicht von der Anbieter-Webseite), bei Technik Reviews in Fachzeitschriften und schließlich die Überlegung, wie ich es einsetzen würde. Und ganz ehrlich – wenn mir nicht relativ spontan einfällt, was ich damit machen würde, verwerfe ich die Idee. Nicht jedoch meine Notizen, denn vielleicht gibt es ja zu einem späteren Zeitpunkt einen durchaus sinnvollen Verwendungszweck.

Auf diese Art spart man Geld und Nerven – und seinen Schülern die eine oder andere halbgare Unterrichtserfahrung, von der ich zuerst geträumt hätte, dass sie einfach bombastisch sein würde 😉 . Es gibt zweifellos Tools, die heute aus einem halbwegs sinnvollen Berufsschul-Unterricht in meinem Fachbereich einfach nicht mehr wegzudenken sind: eine Schul-Cloud, Beamer, Mikros, Kameras und AV-gestütztes Debriefing, Anbindung der mobilen Endgeräte der Schüler, usw.. Doch bei allem Fortschritt dürfen wir bitte nicht glauben, dass die Technik nun unsere Arbeit als Pädagogen erledigen würde.

Die wird durch Gimmicks vielfältiger und möglicherweise auch ein bisschen leichter. Aber den Unterricht vorzubereiten, um dadurch die richtigen Fragen parat zu haben – diese Aufgabe wird uns auch in Zukunft niemand abnehmen. Mäeutik ist auch heute noch eine Kunst, welch der Pädagoge ohne Mühe beherrschen sollte. Womit wir wieder bei den Skills des Pädagogen angelangt wären: diese zu entwickeln und auch nach einem Uni-Abschluss zu fördern ist nicht nur sinnvoll, sondern höchst notwendig, wenn aus dem Flickenteppich rettungsdienstlichen Ausbildungsalltages irgendwann ein homogenes Konstrukt werden soll. Ich will das. Und ihr so…?

Auch zum Hören…

Erwachsen bilden #15 – Blended Learning reloaded…

Wie vor ein paar Tagen angedeutet, habe ich letzte Woche einen Kurs zu Ende gebracht, der in Präsenz anfing, den Schulschließungen folgend, auf einer eigens schnell gebauten Online-Plattform als Selbstlernphase fortgeführt wurde und nun wieder in Präsenz zum Abschluss kam. Mein Resümee in einem Satz: Rettungssanitäter/Innen kann man “blended” nur gut ausbilden, wenn man die Konzepte vorher erprobt hat! Das war in diesem Fall nicht möglich, da ich die entsprechenden Materialien auf die Schnelle nebenher entwickeln musste.

Dabei standen mir mehrere Dinge im Weg: ich bin zwar studierter Pädagoge, aber kein Mediendesigner. Ich habe Ahnung von web-basierten Anwendungen, bin jedoch auf diesem Feld bestenfalls semi-professioneller Autodidakt, kein Profi. Und alles allein, ohne großen Vorlauf und angemessenes Zeitportfolio bauen zu müssen, bedeutet ebenfalls, qualitative Abstriche machen zu müssen. Ich will nicht nölig klingen, aber das hätte besser gehen können und müssen. Immerhin habe ich während dieses Prozesses für die Zukunft, sowohl technisch als auch didaktisch, einiges dazu gelernt.

Zum einen kann ich jetzt den Zeitbedarf für derartige Kurse wesentlich besser einschätzen; geht einfach mal davon aus, dass die Vorbereitung des Contents für eine Online-Plattform ungefähr das 1,0 – 1,2fache der Zeit in Anspruch nimmt, die ihr beim gleichen Modell im Lehrsaal stehen würdet – zuzüglich des Moderations-Aufwandes! Zum anderen konnte ich mir neue Techniken aneignen (und mich trotzdem davon abhalten, noch mehr Spielzeug zu kaufen 😉 ). Damit ihr euch mal eine gute Idee von richtigem E-Moderating verschaffen könnt, empfehle ich übrigens diese Publikation:

Salmon, Gilly (2011): E-Moderating. The key to teaching and learning online. 3rd edition, New York: Routledge

Wobei ich sagen darf, dass der Zuspruch zu social-media-plugins, wie Foren u. Ä. sehr unterschiedlich sein kann. Wenn es nicht explizit Teil einer Aufgabenstellung ist, wird da wenig passieren, außer dem, was vom Moderator gesendet wird. Interessanterweise muss man allerdings auf asynchrone Reaktionen auf den unterschiedlichsten Kanälen gefasst sein, sofern man diese anbietet. Ich empfehle daher auch bei einem blended course die Integration eines offenen Webinars, da dies einen gangbaren Mittelweg zur persönlichen Klärung offener Sachverhalte bietet.

Was mich am meisten überrascht hat, waren die positiven Reaktionen auf die, von mir produzierten Video-Tutorials und kommentierten Präsentationen, die anscheinend tatsächlich als hilfreich zur Selbststrukturierung des Stoffes empfunden wurden. Ich werde versuchen, weitere Fragen zu den Online-Anteilen in der Zukunft zu beantworten – auch für mich selbst. Denn insbesondere die didaktische Dramaturgie (also das Skripting) ist bei Online-Medien oft ein Problem. Für den Anfang kann ich jedoch sagen, dass es auch mit eher geringem technischen Aufwand (z.B. hinsichtlich des “Studio-Equipments” wie Mikrofone, Kamera, etc.) funktioniert. Ein weiterer Literaturhinweis zu Grundsatzfragen:

Kerres, Michael (2013): Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.

Die im Verlauf der letzten Wochen, entstandenen Medien werden in der nächsten Zeit überarbeitet und in eine andere, stabilere Plattform mit größerer Reichweite portiert, damit sie zukünftig zeitnah zur Verfügung stehen und es überdies erlauben, dieses Kursformat auch ohne Pandemie-Lockdown-Not anders zu gestalten. Ich würde mich über Fragen und Anregungen sehr freuen und wünsche euch einstweilen eine schöne Woche.

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Fresh from Absurdistan N°3 – “FFA” meets “Erwachsen bilden”…

Es ist schon eine neue Erfahrung, sich mit dem Dreh von “Lehrvideos” herumschlagen zu müssen. Ich bin ja Pädagoge, kein Mediendesigner. Deshalb habe ich es mir auch ziemlich einfach gemacht. Im Grund sitze ich an meinem Schreibtisch und male ein großes Blatt Papier voll, während ich etwas (hoffentlich sinnvolles) dazu erzähle. Frontalunterricht-Häppchen to go sozusagen. Mein Setup dafür ist denkbar einfach und kostet, sofern man über eine halbwegs akzeptable Home-Office-Ausstattung verfügt, eigentlich ziemlich wenig extra. Bei mir sind das ca. 15,00€ für ein recht einfaches Stativ und ca. 65,00€ für eine ordentliche Logitech Full-HD-Webcam. (Beides besitze ich allerdings schon seit einer ganzen Weile in mehrfacher Ausführung, weil ich damit auch Video-gestütztes Debriefing bei Szenario-Trainings realisiere). Das sieht bei mir in etwa so aus:

Der Schreibtisch steht ein bisschen voll…

Weit wichtiger als die technischen Aspekte, die zugegebenermaßen ein eher nicht hochwertig anmutendes Produktionsergebnis zu Stande bringen, sind allerdings die didaktischen und methodischen Erwägungen, welche dahinter stehen. So, wie wir im Präsenz-Unterricht einen Methoden-Mix aus Unterrichtsgespräch, Eigenarbeit, Trainings, etc. nutzen, um a) mehr als einen Lernkanal aktivieren zu können und b) das Investment der Teilnehmer bzw. Schüler zu fördern, so setze ich auch bei meinem Online-Grundlehrgang für Rettungssanitäter auf Methoden-Pluralität und eine präsente Moderation. Letzteres ist, da der Lehrgang quasi im Experimental-Stadium stattfindet, noch schwierig zu realisieren. Elemente wie eine Social-Media-Plugin konnte ich erst heute realisieren, daher ist noch nicht abzusehen, wie gut das laufen wird. Aber ist Erwachsenenbildung nicht immer erst mal nur ein Angebot…?

Ich nutze also meine Videos, problemhaltige Fallbeschreibungen mit dazu passenden Aufgaben, teilweise mit Audio unterlegte Präsentationen, kurze Lernzielkontrollen zur Selbstüberprüfung, Arbeitsaufträge im Zusammenspiel mit dem Kursbuch und geplant sind noch ein bis zwei Skype-Seminare, um offene Fragen zu klären und eine, im gerade implementierten Forum gemeinsam zu bearbeitende Gruppenaufgabe. Im Moment ist das Teilnehmer-Investment trotz des Aufwandes noch sehr zwiespältig zu beurteilen, aber ich setze Hoffnung in die Impulse, welche das Forum-Plugin eventuell setzen kann. Ich nutze übrigens ein ganz simples WordPress-CMS mit BuddyPress-Forum.

…und von der anderen Seite.

Ich weiß jetzt schon, dass die Kurs-Evaluation für mich ein Ritt auf der Kanonenkugel wird, weil ich einerseits – aus Zeitgründen – kein Tool meines Arbeitgebers genutzt habe und andererseits vieles on the fly improvisieren muss, für das ich mir unter normalen Umständen ein paar Tage, lieber aber ein paar Wochen Vorbereitungszeit nehmen würde. Aber wer hat schon den Luxus, über soviel Zeit zu verfügen? Zumindest eines kann man über die Angelegenheit sagen: ich konnte das Problem, irgendwie weitermachen zu müssen weitestgehend Kosten-neutral lösen. Und das ist in Zeiten von Corona ja auch schon etwas.

Allerdings nehme ich als Erkenntnis für die Zukunft mit, dass ich in meinem Bereich noch einige Briketts in Sachen Digitalisierung des Unterrichts nachlegen muss. Ich bin durchaus ein Technik-affiner und experimentierfreudiger Zeitgenosse, aber es darf halt nicht sein, dass man sowas mit der heißen Nadel stricken und dabei auch noch auf private Ressourcen zurückgreifen muss, damit’s just in time funktioniert. Wenn ich mich allerdings so umsehe, bin ich definitiv nicht allein mit dem Problem. Was man in dem Kontext so von den Allgemeinbildenden Schulen hört… Nun ja, wichtig ist vor allem, den gerade entstandenen Schwung in diesem Sektor mitzunehmen. Ideen habe ich jetzt einige, mal sehen was davon in der Zukunft weiter funktionieren kann.

In jedem Fall ist es ein anstrengendes aber auch spannendes Projekt, über dessen Früchte ich euch auch in der Zukunft auf dem Laufen halten werde. Bis dahin wünsche ich einen schönen Samstagabend. Bleibt daheim, bleibt gesund, bleibt locker. Denn nach der Krise ist vor der Krise…

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Erwachsen bilden #14 – Schulstress?

Das Leben als Schüler oder Auszubildender ist nicht einfach. Man ist – mal mehr, mal weniger – ständig einem Erwartungsdruck ausgesetzt. Allein der Gedanke an die Abschluss-Prüfungen lässt manchem Probanden den Magen flau werden, sind doch zumeist unfassbar viele Faktoren damit verknüpft,die auf den weiteren Lebensweg wirken könnten. Ich sage bewusst “könnten”, weil insgesamt gar nicht so sicher erscheint, dass eine einmal getroffene Entscheidung soviel Wirkmacht auf Wohl und Wehe unserer Existenz hat.

Das mit dem Druck beginnt manchmal ja schon vor der allgemein bildenden Schule. Einmal mehr bin ich über einen Artikel auf Zeit Online gestolpert, der exzellent illustriert, welche Denke mittlerweile den Umgang mit Schule und Ausbildung dominiert schneller, höher, weiter, besser, mehr… Und mit gewisser Beunruhigung musste ich in einem Moment der Selbstreflexion feststellen, dass meine Frau und ich als Eltern nicht selten einem ähnlichen Druck anheim fallen und unsere Kinder “knechten”, wenn es doch besser wäre, den Dingen gelassener entgegen zu sehen. Keine andere Bevölkerungsgruppe hat in der BRD anscheinend so viel Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg, wie der so genannte Mittelstand, zu dem wir als Familie uns – im krassen Gegensatz zu Friedrich Merz – zählen dürfen.

Was ist denn die Konsequenz, wenn die Bildungskarriere nicht straight zu Einser-Abi führt? Endet man dann als Heizer auf einem panamaischen Seelenverkäufer, als eingesperrter T-Shirt-Näher in Bangladesch oder als LKW-Fahrer im Hindukusch? Und falls ja, warum erscheint uns dieses “Schicksal” so dramatisch? Seien wir mal ehrlich – selbst wenn ich in der BRD ins soziale Netz fiele, ginge es mir objektiv immer noch wesentlich besser, als den vorgenannten Menschen. Und doch haben wir so entsetzliche Angst davor, als Versager zu gelten, wenn wir es uns nicht Kraft Abschluss aussuchen zu können, wer oder was wir sein wollen. Die Saat der meritokratischen Illusion ist vollends in uns erblüht. Wir sollten uns folgende, einfache Tatsache ins Gedächtnis rufen: Diesen Luxus haben die allerwenigsten Menschen auf diesem Planeten!

Der eine oder andere mag sich fragen “Und was hat das nun mit dem sonstigen Thema “Berufsbildung” an dieser Stelle zu tun?”. Es ist eigentlich ganz einfach: wir sollten uns einmal über Erwartungshaltungen unterhalten. Über Lernziele und den Druck, den wir in den jungen Leuten aufbauen; leider oft genug, ohne diesem geeignete Ventile zum Abbau zu verschaffen. Denn schon in der Berufsschule beginnt der Kampf – Noten. Sie sind dazu gemacht, einander zu vergleichen und eine Taxonomie zu generieren, die letztlich nur dazu geeignet ist, Folgendes auszusagen: “DU bist schlechter als ICH!”; oder vice versa. Exzellente Voraussetzungen, um die lern- und improvisationsfähigen, lebensklugen, empathischen, stressfesten Sanis zu erzeugen, die wir uns doch so sehr wünschen, oder…? Oder…?

Wir haben uns so sehr in Regularien, Curricula, Evidenz, Leistung und deren Messbarkeit vergraben, dass wir manchmal nicht mehr sehen, was das wahre Kernstück unseres Berufes ist: wir sind Menschen, die mit Menschen an Menschen für Menschen arbeiten! Und eben nicht nur Vitalparameter-Maschinisten, Logistik-Manager, Rennfahrer und Algorithmen-Puzzler. Doch genau das erzeugen die Schulen landauf, landab im Moment: junge Menschen mit der Mission, den ganzen technokratischen Krempel auch endlich anwenden zu dürfen; leider oft genug jedoch ohne einen Plan, wie man abseits der “Handlungsempfehlungen” handlungsfähig im Sinne des Patienten bleibt. Denn neben dem ganzen Wissen um Notfallmedizin wird auch die allseits dominante ökonomische Logik mit indoktriniert. Der Mensch ist in der Humanmedizin heutzutage oft genug nicht mehr als ein 62-prozentiger Wassersack mit einer Kontonummer drauf.

Indem wir die Lehre mit Druck betreiben, bereiten wir unsere zukünftigen Kolleginnen und Kollegen auf ein Leben unter Druck vor, denn letztlich ist klar, wohin unser Gesundheitswesen im Moment steuert: noch mehr Arbeitsverdichtung, noch weniger Humanität, noch mehr Controller, anstatt Menschen. Und der NotSan wird Aufgaben zugewiesen bekommen, die heute noch gar nicht absehbar sind, weil er zu einer, beliebig vor Ort einsetzbaren, sozial-medizinisch-psychatrischen Feuerwehr umgebaut werden wird. Ist billiger, als überall Ärzte hinzuschicken. Und obendrein ist das Personal schneller ausgebildet. Über den Verschleiß macht sich dabei kaum einer Gedanken.

Wie wäre es, wenn wir als Ausbilder uns dafür einsetzen, eine eigene Disziplin zu begründen, Rettungsdienst als eigenes Forschungs-, Wissens- und Ausbildungs-Fach zu betreiben und uns so von den Interessen Dritter zu emanzipieren? Jener, die uns eh nur als unangenehmes, aber leider notwendiges Anhängsel betrachten, dem man besser nicht zu viel Freiraum gibt, weil es sonst womöglich auf eigene Ideen kommt. Lasst uns genau das tun: eine Disziplin begründen, die eigene Wege gehen und vor allem ihre Auszubildenden besser zu behandeln vermag. Sapere aude im besten Sinne Kants! Das wäre doch mal ein Projekt… Ach ja – gibt’s ja schon! Schaut doch mal bei der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft im Rettungsdienst vorbei. Wir würden uns freuen!

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