Einfach mal was schreiben…

Immer wieder tue ich mir diesen grandiosen Mist an und lese in solche Self-Publishing-Romane rein. Ja, diese Amazon-online-Grabbelkiste mit plüschig-generischen Fantasy- oder Science-Fiction-Covern, die zumeist mit dem Inhalt so viel zu tun haben, wie Rizinus-Öl mit Gaumenfreude. Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein und so. Es ist mitnichten so, dass ich nicht auch manchmal mit etwas Wortstuck um mich werfe, aber was die da so treiben… Wer jemals in eine bayrische Barockkapelle gegangen ist, kann mit dem Begriff „ZUVIEL“ etwas anfangen. Das wirkt immer, als sei jemand mit ’ner Badewanne voller Zuckerguss ausgerutscht und als er die folgende Malaise besah, dachte er sich einfach: „Bisschen Blattgold drauf, dann wird das schon…“

Genauso lesen sich viele dieser Self-Publishing-Dinger. Die Alternative ist eine extrem puristische Aneinanderreihung karger Subjekt-Prädikat-Objekt-Geschosse, die ein langsames, sprachliches Stakkato erzeugen. In beiden Fällen rahmt die Sprache die reichliche Verwendung jeweils Genre-typischer Versatzstücke. Wortkarge, düstere Helden und -innen, die gute Hure, der falsche Freund, der harte, aber wohlmeinende Lehrmeister, eine ganze Welt voller Neider, geheimnisvolle Kräfte (was bitte schön ist in einem Fantasy-Roman an Magie noch geheimnisvoll?), und so weiter und so fort.

Oder aber wir finden den bemüht hippen – wahlweise konstruierenden oder aber im Versuch der Dekonstruktion stecken bleibenden – Kultur-Kommentar eines, von der Realität erschöpften Möchtegern-Intellektuellen; den vielleicht/hoffentlich irgendein Bildungsbürger im Feuilleton dann hyped, weil’s ja ganz was Neues ist. Einziger Unterschied zum Autor, auf den sich der verlinkte Artikel bezieht – der ist schon erfolgreich. Viele Andere, die so gerne mal einen Meter Regal auf einer relevanten Buchmesse mieten würden, sind das nicht – und werden es auch nie sein. Ich wahrscheinlich übrigens auch nicht. Ich bin aber auch nicht davon abhängig, vom Feuilleton gehyped zu werden. Die sind dort doch eh alle so sehr mit ihrer eigenen Wichtigkeit befasst, dass sie die Welt „as is“ doch gar nicht mehr erkennen können.

Klingt bitter? Vielleicht ein bisschen. Aber was mancher Möchtergern, aber auch einige hochgerühmte Bestseller-Autor da abliefern, klingt Scheiße, reizt kein bisschen die Sinne und regt auch nicht zum Nachdenken an. Denn wenn das Feuilleton irgendwas kann, dann dieses, ab der 5. Klasse des Gynmasiums eingeübte Überinterpretieren irgendwelcher – angeblich irgendwie relevanter – Stoffe. Ich schwöre, bei allem, was mir auch nur irgendwie heilig ist: Ich habe mich damit auch befasst. Und sogar recht erfolgreich. Doch bis heute will mir nicht in den Kopf, wie viel Subtext und verborgene Bedeutung mancher in einem Stück, Kapitel, Gedicht sehen will, das vielleicht vom Autor nach einer durchzechten Nacht mal eben hingerotzt wurde, weil der Abgabe-Termin unaufhaltsam näher rückte.

Wahrscheinlich bin ich einfach nur frustriert, weil ich nicht berühmt bin; aber mal ehrlich: wer glaubt schon, dass all diese versteckten Zeichen, die mancher Mensch in manchen Büchern sehen möchte, tatsächlich vom Autor intendiert waren? Wenn wir mal von Umberto Eco absehen. Der war Professor für Semiotik. Aber wenn tatsächlich Zeichen da wären, wer sagt, dass damit auch gemeint war, was wir heute denken, dass gemeint sein könnte. Insbesondere, wenn der Text in einer anderen Kulturepoche entstanden ist. Und NEIN; auch wenn die Historiker viel über vergangene Zeiten sagen können – wie’s damals wirklich war, was zählte und was nicht, bleibt häufig sehr vage. Womit auch die Interpretation eher ein Glücksspiel bleiben muss.

Ich – so ganz für mich – glaube daran, einfach mal zu schreiben. Oh, es gibt durchaus ein Storyboard, dramaturgische Erwägungen, Hintergründe für meine Figuren, welche Motivationen und Handlungsweisen erklären. Es gibt einen Stil, den ich pflege und bestimmte Genres, die mir mehr liegen als andere. Und auch, wenn ich zu Beginn des Artikels die Zunft der Self-Publisher für ihren gelegentlichen Mangel an Innovation gescholten habe, bin ich doch vermutlich in mancherlei Hinsicht kein Jota besser. Und doch würde ich mir wünschen, dass wir endlich mit dem dauernden, zwanghaften Interpretieren aufhören könnten und einfach tun, was die meisten wahrscheinlich wollen: die Geschichten erzählen, die sie selbst gerne hören würden. Zumindest mir geht es so.

Wenn dabei ab und zu eine relevante Geschichte abfällt, die nicht nur unterhält sondern auch zum Nachdenken anregt, ist das quasi ein Bonus. Nur auf eines sollten wir achten: nicht den 28. JRR-Tolkien-Aufguss einer Heldenreise als etwas vollkommen Neues verkaufen zu wollen. Damit wäre auch mir gedient. Und sucht euch mal bessere Cover-Artists. Die müssen nicht die Welt kosten. Aber wenn Cover und Buch irgendwas miteinander zu tun haben, macht das einfach mehr her. C U…

Auch zum Hören…

Im Schweinsgalopp durch’s Zeitgeschehen

Seit meinem letzten Post sind ein paar Tage ins Land gegangen und was soll ich sagen – das Leben geht weiter! Und zwar zwangsweise, da die Ansprüche der Lebenden an mich nun mal nicht aufhören, nur weil jemand final ausgecheckt hat, der mir sehr nahe stand… Keine Klagen, keine schlechten Gefühle. Wir alle sind so sehr eingebunden in dieses fragile Dings namens Leben, dass man kaum je Zeit hat, wirklich drüber nachzudenken, was das eigentlich bedeutet.

Schaut man so durch die Tages- und Wochengazetten, drängt sich einem der Verdacht auf, dass es neben Corona und den üblichen Senkwehen sich anbahnender politischer Totgeburten nix anderes von Belang mehr auf der Welt gibt. Nun herrscht ja an solchen Politzombies in spe kein Mangel: z.B. wahrscheinlich Joe Biden als Kandidat der DEMs gegen Trump bei der nächsten Wahl, oder – fast noch besser – Friedrich Merz als CDU-Spitzenkandidat, der die bürgerliche Mitte endgültig vergraulen wird, obwohl er doch immer in treuherziger Falschheit beteuert, dazu zu gehören. Aber bildet das tatsächlich unsere Welt ab?

Es gibt so viele andere Dinge, an deren Behandlung – oder besser Nichtbehandlung – man ablesen kann, wie es in den Köpfen vieler unserer „Führer“ tatsächlich um Humanität bestellt ist. Ich werde keine Beispiele bringen, die findet man mit wenig Aufwand selbst (Stichworte Idlib, Ostukraine, Lesbos). Aber richtig traurig macht mich, dass der ganze Alarm wahrscheinlich vergessen ist, wenn irgendwelche Ligen wieder nutzlos Millionen verbrennen, damit alle dabei zuschauen wollen, wie überbewertete – und leider nur zu häufig unterbelichtete – Bübchen Bälle herum schieben. Großartiger Scheiß. Na ja… jedem seinen Eskapismus. [Nachtrag vom 22.03: ich habe mich geirrt! Die Ligen sind abgesagt! Wenigstens einmal hat die Vernunft über den Mamon gesiegt!]

Wo war ich? Ach ja – Bedeutung. Zum Teufel, ich weiß auch nicht, was soll es bedeuten, dass ich mich so normal fühle. JA, da ist eine Leerstelle. JA, da war eine Zäsur. JA, ich habe (natürlich) noch nicht damit abgeschlossen. JA, es tut immer wieder ein bisschen weh. NEIN, es ändert nichts daran, dass ich mein Leben wie bisher weiter leben werde! Einerseits weil ich muss, denn es gibt Verpflichtungen – gegenüber meinen Lieben, meinen Freunden, meinen Kollegen, meinem Boss, meinen Schülern – die man nicht einfach mit einem „Ich kann grad‘ nicht“ wegwischen kann. Zumindest nicht für lange.

Und wahrscheinlich ist es auch genau das, was den Menschen letzten Endes immer wieder zu heilen vermag, wenn er es denn zulassen möchte: Weiterleben Müssen macht das Weiterleben Wollen nämlich irgendwie einfacher. „Muss ja“ ist nicht etwa eine dumme Phrase, wenn man sonst nix zu sagen weiß, sondern vielmehr eine höchst tiefgründige Weisheit, die das eben Gedachte charmant unprätentiös zusammenfasst.

Andererseits ist mein Weiterleben und Weitermachen Wollen ein starkes Mojo. Denn lange, bevor diese aktuelle Scheiße passiert ist, habe ich mit mir selbst einen Deal geschlossen. Es ist ein ganz einfacher Deal und er lautet in etwas so: Denen gegenüber, die mir treu sind, werde ich auch treu sein! Immer! Bis der Tod – oder irgendein ähnlich dramatisches Desaster – uns scheidet! Und dann gehe ich- sofern es noch einen gibt – meinen Weg einfach weiter! Ende Gelände…

Das Leben hat mich einiges über Verlust, Elend, Trauer und Schmerz gelehrt. Und darüber, wie egoistisch, falsch, durchtrieben, verlogen und bigott manche durch’s Leben gehen. Aber die allermeisten sind, genau wie ich, einfach nur Typen (oder Typinnen), die durch diesen Mist stolpern und hoffen, es halbwegs hinzukriegen, ohne allzu viel kaputtzumachen. Kein Ahnung, wie meine Bilanz dereinst ausfallen wird. Ich male mir ja immer aus, dass ich ein bisschen mehr auf der „Gutes-Karma-Haben-Seite“ angespart habe. Man kriegt halt keine Kontoauszüge. Das Schicksal will immer nur Abschlagszahlungen sehen – wie zum Beispiel jetzt.

Ich fragte mich in letzter Zeit häufig, warum ausgerechnet die ganzen Soziopathen in irgendwelchen politischen Ämtern rumlungern. Doch dann kam mir der Gedanke: die sind wie ich. Es schauen nur mehr Leute zu. Und jene, die Ansprüche an sie haben, verfügen teilweise über viel mehr Macht, als bei mir. Denn die wahren Soziopathen hocken ja doch immer in irgendwelchen verglasten Türmen und schauen auf die anderen mit dieser unfassbaren Mischung aus Verachtung und Angst herab, die nur jemand empfinden kann, der stets mit der Furcht leben muss, von seinem ungeheuren Reichtum auch nur ein Futzel hergeben zu müssen. Was für arme Kreaturen…

Ich werde Zimbo bleiben, älter werden und nach Westen ziehen… halt, das war Galadriels Spruch, sorry. Ehrlich gesagt: ich brauch meinen schrägen Humor, meine schrägen Hobbies und die – Gott sei Dank – leicht schrägen Menschen um mich herum, damit alles in den Fugen bleiben kann. Denn das ist, worum es beim Weiterleben geht: vorwärtsstolpern, nicht zu viel kaputtmachen, sich treu bleiben und immer brav auf die „Gutes-Karma-Haben-Seite“ einzahlen. Dann ist es irgendwann auch OK, wenn ich selber gehen muss, weil jene, die ich dann unvermeidlich zurücklassen muss, wissen, wie man’s macht, dass es nicht so weh tut und trotzdem weitergeht. Hab’s ihnen ja gezeigt. Schönen Abend noch.

Auch zum Hören…

Verwirrtes Herz…

Es gibt Momente im Leben, die man nicht vergisst. Viele Menschen können sich zum Beispiel genau daran erinnern, wo sie am 11.09.2001 waren, als jene grausigen Bilder über die Mattscheiben flimmerten und offiziell davon kündeten, dass die Zeit des Wegschauens vorbei war. Das ist natürlich ein öffentliches Beispiel, weil ich kaum in die Köpfe so vieler Menschen hinein sehen kann, um zu wissen, was jeden einzelnen in seinem tiefsten Innern bewegt. Ich wollte eine solche Kraft auch gar nicht, denn mit ihr ginge große Verantwortung einher. Aber mir ist bewusst, dass jedes menschliche Wesen Erfahrungen macht, auf die es lieber verzichtet hätte.

So trägt ein jeder ungesehen und unbeachtet sein eigenes Bündel von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr und ganz gleich, WO wir auch hingehen mögen, die Last der vorangegangenen Tage ist immer schon da. Wartet auf uns, wie eine alte Wolldecke auf der heimatlichen Couch, bereit uns einzuhüllen, um uns zuvorderst daran zu erinnern, woran wir gescheitert sind… und warum. Eigentlich ist die Erinnerung an die eigenen Fehler ja nur ein Schutzmechanismus unseres Gehirns, um uns davor zu bewahren, in genau diese Falle noch mal zu tappen. Doch manchmal sind wir einfach zu blöd, die Chiffren unseres eigenen Hirns zu entziffern.

Und manchmal kommen auch einfach neue Fehler hinzu; getreu Donald Ducks altem Motto „Aus Fehlern wird man klug, drum ist einer nicht genug!“. Als Mensch ist mir die Erfahrung, neue Fehler „zu erfinden“ nicht unbekannt. Doch natürlich besteht unsere Sammlung solch mächtiger Bilder nicht nur aus Schnappschüssen unserer Fehler, sondern eben auch aus Wahrnehmungen, die so gewaltig sind, dass sie sich gleichsam in unser aller Gedächtnis graben. Wie eben die zusammenstürzenden Twin Towers…

Gelegentlich teilen wir diesen mentalen Ballast, in der vagen Hoffnung, dass er dadurch leichter würde – geteiltes Leid sei halbes Leid, sagt man. Ob das stimmt? Ganz ehrlich – Ich weiß es nicht. Dennoch ist es mir in diesem dunklen Augenblick ein Bedürfnis, meine Trauer in Worte zu fassen, da ich rational natürlich absolut verstehe, was gerade passiert ist. Doch emotional… da stehe ich vor einem Trümmerfeld, dass ich erst sortieren muss, bevor ich es verstehen kann…

Mein Mutter ist gestern Abend (also genauer vor wenigen Stunden) gestorben. Ich kann nicht sagen, dass man es die letzten Tage nicht kommen sehen konnte. Mir ist auch bewusst, dass es für sie einen Frieden bedeutet, den sie hier auf Erden nicht mehr finden konnte. Und doch… bei all meiner beruflichen Erfahrung im Umgang mit dem Leiden und dem Tod, haut es mich um. In mehr als nur einer Hinsicht bin ich erschöpft und erschüttert. Ohne das hier weiter thematisieren zu wollen, oder zu können: es gibt ein paar Menschen, die ich auf den Mond schießen könnte. Und wiederum andere, die sich einmal mehr als so wertvoll erwiesen haben, dass ich mein Glück kaum fassen kann.

Ich weiß nicht, ob ich der Sohn war, den sie gewünscht oder verdient hatte. Aber ich bin mir sicher, dass alles irgendwann gut wird; denn wohin auch immer der Weg von nun an führen mag – ich bin bereit ihn zu gehen, loszulassen und das Leben, welches gelebt wurde genauso zu feiern, wie jenes, dass auch weiterhin gelebt werden wird. Mögen die guten Erinnerungen nicht verloren gehen. Denn über die Gegangenen schlecht zu reden, zeugt bestenfalls von der eigenen Schlechtigkeit. Ich wünsche uns allen Frieden und eine verheißungsvolle Zukunft.

Amen

Erwachsen bilden #14 – Schulstress?

Das Leben als Schüler oder Auszubildender ist nicht einfach. Man ist – mal mehr, mal weniger – ständig einem Erwartungsdruck ausgesetzt. Allein der Gedanke an die Abschluss-Prüfungen lässt manchem Probanden den Magen flau werden, sind doch zumeist unfassbar viele Faktoren damit verknüpft,die auf den weiteren Lebensweg wirken könnten. Ich sage bewusst „könnten“, weil insgesamt gar nicht so sicher erscheint, dass eine einmal getroffene Entscheidung soviel Wirkmacht auf Wohl und Wehe unserer Existenz hat.

Das mit dem Druck beginnt manchmal ja schon vor der allgemein bildenden Schule. Einmal mehr bin ich über einen Artikel auf Zeit Online gestolpert, der exzellent illustriert, welche Denke mittlerweile den Umgang mit Schule und Ausbildung dominiert schneller, höher, weiter, besser, mehr… Und mit gewisser Beunruhigung musste ich in einem Moment der Selbstreflexion feststellen, dass meine Frau und ich als Eltern nicht selten einem ähnlichen Druck anheim fallen und unsere Kinder „knechten“, wenn es doch besser wäre, den Dingen gelassener entgegen zu sehen. Keine andere Bevölkerungsgruppe hat in der BRD anscheinend so viel Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg, wie der so genannte Mittelstand, zu dem wir als Familie uns – im krassen Gegensatz zu Friedrich Merz – zählen dürfen.

Was ist denn die Konsequenz, wenn die Bildungskarriere nicht straight zu Einser-Abi führt? Endet man dann als Heizer auf einem panamaischen Seelenverkäufer, als eingesperrter T-Shirt-Näher in Bangladesch oder als LKW-Fahrer im Hindukusch? Und falls ja, warum erscheint uns dieses „Schicksal“ so dramatisch? Seien wir mal ehrlich – selbst wenn ich in der BRD ins soziale Netz fiele, ginge es mir objektiv immer noch wesentlich besser, als den vorgenannten Menschen. Und doch haben wir so entsetzliche Angst davor, als Versager zu gelten, wenn wir es uns nicht Kraft Abschluss aussuchen zu können, wer oder was wir sein wollen. Die Saat der meritokratischen Illusion ist vollends in uns erblüht. Wir sollten uns folgende, einfache Tatsache ins Gedächtnis rufen: Diesen Luxus haben die allerwenigsten Menschen auf diesem Planeten!

Der eine oder andere mag sich fragen „Und was hat das nun mit dem sonstigen Thema „Berufsbildung“ an dieser Stelle zu tun?“. Es ist eigentlich ganz einfach: wir sollten uns einmal über Erwartungshaltungen unterhalten. Über Lernziele und den Druck, den wir in den jungen Leuten aufbauen; leider oft genug, ohne diesem geeignete Ventile zum Abbau zu verschaffen. Denn schon in der Berufsschule beginnt der Kampf – Noten. Sie sind dazu gemacht, einander zu vergleichen und eine Taxonomie zu generieren, die letztlich nur dazu geeignet ist, Folgendes auszusagen: „DU bist schlechter als ICH!“; oder vice versa. Exzellente Voraussetzungen, um die lern- und improvisationsfähigen, lebensklugen, empathischen, stressfesten Sanis zu erzeugen, die wir uns doch so sehr wünschen, oder…? Oder…?

Wir haben uns so sehr in Regularien, Curricula, Evidenz, Leistung und deren Messbarkeit vergraben, dass wir manchmal nicht mehr sehen, was das wahre Kernstück unseres Berufes ist: wir sind Menschen, die mit Menschen an Menschen für Menschen arbeiten! Und eben nicht nur Vitalparameter-Maschinisten, Logistik-Manager, Rennfahrer und Algorithmen-Puzzler. Doch genau das erzeugen die Schulen landauf, landab im Moment: junge Menschen mit der Mission, den ganzen technokratischen Krempel auch endlich anwenden zu dürfen; leider oft genug jedoch ohne einen Plan, wie man abseits der „Handlungsempfehlungen“ handlungsfähig im Sinne des Patienten bleibt. Denn neben dem ganzen Wissen um Notfallmedizin wird auch die allseits dominante ökonomische Logik mit indoktriniert. Der Mensch ist in der Humanmedizin heutzutage oft genug nicht mehr als ein 62-prozentiger Wassersack mit einer Kontonummer drauf.

Indem wir die Lehre mit Druck betreiben, bereiten wir unsere zukünftigen Kolleginnen und Kollegen auf ein Leben unter Druck vor, denn letztlich ist klar, wohin unser Gesundheitswesen im Moment steuert: noch mehr Arbeitsverdichtung, noch weniger Humanität, noch mehr Controller, anstatt Menschen. Und der NotSan wird Aufgaben zugewiesen bekommen, die heute noch gar nicht absehbar sind, weil er zu einer, beliebig vor Ort einsetzbaren, sozial-medizinisch-psychatrischen Feuerwehr umgebaut werden wird. Ist billiger, als überall Ärzte hinzuschicken. Und obendrein ist das Personal schneller ausgebildet. Über den Verschleiß macht sich dabei kaum einer Gedanken.

Wie wäre es, wenn wir als Ausbilder uns dafür einsetzen, eine eigene Disziplin zu begründen, Rettungsdienst als eigenes Forschungs-, Wissens- und Ausbildungs-Fach zu betreiben und uns so von den Interessen Dritter zu emanzipieren? Jener, die uns eh nur als unangenehmes, aber leider notwendiges Anhängsel betrachten, dem man besser nicht zu viel Freiraum gibt, weil es sonst womöglich auf eigene Ideen kommt. Lasst uns genau das tun: eine Disziplin begründen, die eigene Wege gehen und vor allem ihre Auszubildenden besser zu behandeln vermag. Sapere aude im besten Sinne Kants! Das wäre doch mal ein Projekt… Ach ja – gibt’s ja schon! Schaut doch mal bei der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft im Rettungsdienst vorbei. Wir würden uns freuen!

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Erwachsen bilden #13 – Was treibt einen eigentlich zum Lernen?

Schönen Palindromsonntag wünsche ich (02.02.2020). Ich stecke momentan mitten in einem Studienbrief, der u. A. thematisiert, wie für Erwachsene Zugänge zu Bildung aussehen, und was einen dazu bringt, sich (weiter) zu bilden. Studium im besten Sinne bedeutet, dass es Fragen aufwirft, die den Studenten selbst betreffen. So wie dies beim Lernen insgesamt der Fall sein sollte. Mensch lernt, wenn das, was zu lernen angeboten wird, sich irgendwie an seine vorbestehenden Erfahrungen anschließen lässt, einen für den Lerner erfahrbaren Sinn hat und der Lerner eine Motivation erfährt, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Das ist natürlich eine verkürzende und überaus vereinfachende Darstellung von mehreren 100 Seiten Material; für die folgende (Selbst)Betrachtung sollte es jedoch als Einstieg genügen…

Es gab – und gibt immer noch – die Idee des Fahrstuhleffektes; nämlich das durch das Wohlstands-Wachstum seit dem II. WK alle Teile der bundesrepublikanischen Bevölkerung materielle Verbesserungen erfahren haben, obschon die sozialen Unterschiede kaum abgenommen hätten. Es war Teil der sozialdemokratischen Bildungspolitik in den 60ern, 70ern und frühen 80ern, sozialen Aufstieg durch breitere Teilhabe, vor allem an akademischer Bildung, ermöglichen zu wollen. Folglich ist der Akademiker-Anteil in der Bevölkerung seitdem erheblich gestiegen. Und tatsächlich hat sich der materielle Wohlstand seit damals gemehrt. Doch seit der neoliberalen Wende Anfang der 80er wurde dieses Versprechen in immer geringerem Maße eingelöst, obwohl nach wie vor alle bildungspolitischen Bemühungen auf eine Steigerung der Akademiker-Quote zielten.

Diese ist in anderen Ländern allerdings u. A. deshalb um einiges höher, weil es dort kein Duales Ausbildungssystem gibt. Wie dem auch sei, Studieren ist immer noch „in“ und auch die Wege zum berufsbegleitenden Hochschulstudium auf dem zweiten Bildungsweg sind vielfältiger und der Einstieg einfacher geworden. Zumindest das hat der Bologna-Prozess als Gutes gehabt. Ich persönlich profitiere davon, hätte ich doch mit 20 gar nicht gewusst, dass mich Erwachsenenpädagogik jemals so begeistern könnte. Und dennoch bleibt natürlich die Frage: ist meine Begeisterung echt, oder doch nur Notwendigkeitsgeschmack im Sinne Bourdieus; also dem Umstand geschuldet, dass ich gerne noch etwas erreichen, jemand sein möchte, was auf Grund meiner Herkunft nur durch Leistung möglich ist…?

Natürlich rede ich mir gerne ein, dass es nur meine eigene, ganz persönliche Entscheidung ist, mir dies abzuverlangen. Und tatsächlich empfinde ich es als wenig quälend. Ja – Zeitmanagement ist kritisch. Und ja – meine Familie leidet darunter (vermutlich mehr, als ich mir eingestehen möchte). Und ja – ich habe ein paar spezielle Ziele, die ich in meinem Leben noch verwirklichen möchte; einfach nur, um zu sehen, ob ich das kann. Aber ist es nicht dennoch einfach nur dieser Wunsch nach etwas mehr materieller Sicherheit für uns; meine Frau, unsere Kinder, mich…?

Ich war in den vergangenen Jahren immer mehr der Meinung, dass ich nicht so ein materialistischer Konsum-Krüppel wäre, wie so viele Andere. „Leistungsträger“. Dieser Begriff geistert immer wieder durch Foren, in denen ich mich rumtreibe und letzten Endes meint dieses Wort Folgendes: „ICH leiste mehr als du, also darf ICH mir auch mehr gönnen!“ Was für ein wundervoller Ausbund an narzisstischem Ego-Trip. Ich könnte im Strahl kotzen, wenn ich so was lese und distanziere mich innerlich mit Schaudern von solcherlei Äußerungen. Und doch… ist da dieses kleine Männchen in meinem Hinterkopf, das etwas ähnliches ruft: „Schaut her, was ich alles erreicht habe! Ich bin…“ Verdammte Axt…!

Es ist mir wichtig, Menschen dahin zu führen, dass sie ihr eigenes Handeln und Unterlassen bewusst reflektieren und informierte Entscheidungen treffen lernen. Jeden Tag ein bisschen mehr. Und während ich das versuche, lerne ich ebenfalls etwas dazu. Lehren ist immer ebenso ein Lernprozess. Und manchmal demaskiert dieser Lernprozess Seiten an einem selbst, die man gerne maskiert gelassen hätte. Weil es manchmal echt wehtut, der Wahrheit ins Auge zu sehen. In meinem Bemühen, etwas über das Lehren zu lernen, habe ich also einmal mehr etwas über mich selbst gelernt; und es macht keinen Spaß, das zuzugeben. Aber ich muss meine Beweggründe noch einmal reflektieren.

Natürlich wollte ich schon seit Jahren in eine echte Führungsposition, weil diese Gestaltungskompetenz mit sich bringt – und damit die Chance, jene Dinge besser zu machen, die man seit Jahr und Tag bei Anderen suboptimal ausgeführt gesehen hat. Oder bin ich doch selbst nur auf einem narzisstischen Ego-Trip und will einfach Macht, weil Macht zu haben geil ist? Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ich habe mächtige Emotionen, die manchmal zum Spielen raus wollen, auch wenn ich meine Affekte heute ganz gut im Griff habe. Aber könnte es nicht sein, dass mein Wunsch nach Gestaltungskompetenz nicht einfach nur Ausdruck kleinbürgerlicher Großmacht-Träume ist…?

So lange ich offen darüber rede, ist vermutlich noch alles OK, aber meine internen Checks and Balances werden sicher noch das eine oder andere zu tun bekommen. In jedem Fall muss mir irgendjemand da draußen Bescheid geben, wenn ich anfange, zum „Leistungsträger“ zu mutieren. Wir hören uns.

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Hey Du – mach mich an!

Es ist, wie es ist, die Welt ist im Wandel begriffen. Das „DU“ ist jetzt die Konvention. Sagt zumindest Rezo auf Zeit Online. Und mit Bezug auf Social Media weiß er Bescheid. Allerdings – und das entwertet seine Argumentation für mich ein bisschen – rekurriert er lediglich auf dem Umstand, das Social-Media-Nutzer das Personalpronomen „Sie“ für unhöflich halten, weil es dem Versuch gleichkäme, realweltliche Machtdifferentiale in die Online-Welt mitzunehmen; egal, ob diese nun wirklich wirksam sind, oder nur durch den Nutzer eingebildet.

[Exkurs:] Eine der Domänen der Genderforschung ist die Demaskierung von sprachlich verfassten Machtdifferentialen, die z.B. – aber nicht nur – Frauen in eine Defensiv-Position drängen und patriarchalische Machtansprüche festigen sollen. Inwieweit solche Strategien tatsächlich funktionieren, ist immer noch umstritten. Zweifelsfrei hat Sprache aber die Macht, Macht zu verteilen, oder aber Menschen auszuschließen. Insofern hat Genderforschung sehr wohl eine Daseinsberechtigung. [Exkurs Ende]

Schauen wir uns Rezos Argumentation mal näher an: Jemand, der altmodisch denkt, betritt einen Chatroom, ein Forum, eine Kommentarspalte und siezt seine Gegenüber. Die fühlen sich irritiert, ja sogar unhöflich behandelt, weil das „DU“ dort die Konvention ist. Rezo unterstellt Unhöflichkeit, weil man ja doch wissen können müsste, dass das in der digitalen Welt nun mal so ist. Ich unterstelle ihm – und seinen Kollegen, die vielleicht genauso denken – mangelndes Interesse an Soziologie. Denn um irgendeinen Machtanspruch, egal ob dieser nur subjektiv existiert, oder tatsächlich ein reales Analogon hat, dergestalt in die digitale Welt transponieren zu wollen, müsste ich a) mir bewusst sein, dass „SIE“ dort einen anderen Wert (nämlich keinen) hat und b) von den Leuten dort etwas wollen, dass es lohnt, verbal auf die Kacke zu hauen.

Realistisch betrachtet ist die unterstellte Verkettung von Wissen und Intention zu einer Kausalität möglich; jedoch hoch unwahrscheinlich, weil vielen Leuten a) nicht bewusst ist, dass das „DU“ dort die Norm ist und b) sie Machtfragen nicht interessieren… Sie sprechen so, wie sie es gewohnt sind, weil sie es irgendwann, irgendwo so gelernt haben. Man nennt das Sozialisation – und ehrlich gesagt kann man von jemandem wie Rezo, der doch ansonsten ein ganz cleverer Kerl zu sein scheint, erwarten, dass er solche Dinge in seine Überlegungen einbezieht. Solche „falschen“ Ansprachen passieren mir selbst übrigens auch regelmäßig, weil ich zugegebenermaßen beim Posten in Foren, etc nicht so bewusst darüber nachdenke, wie meine Sprache auf andere wirkt, wie ich das in meinem Blog tue.

Was mir aber viel wichtiger ist: das „SIE“ schafft Distanz im Diskurs, wenn ich diese brauche. Und seien wir mal ehrlich – wenn ich mich mal wieder online mit Faschos kabbele ist es ganz griffig, diese Spacken für ein „DU“ abzustrafen. Denn das verstehen diese Möchtegern-konservativen Rassisten ziemlich gut. Wir haben noch nie ein Bier zusammen getrunken und werden das unter dem Vorzeichen „der Fascho“ vs. „ich Soze“ wahrscheinlich auch nie tun. Aber man soll ja nicht ausschließen, dass der Fascho sich entwickeln kann.

Was mich betrifft: ich halte Rezos Argumentation dieses Mal für Bullshit. Ich verstehe, dass er von Boomern, bzw. älteren Menschen ganz im Allgemeinen enttäuscht ist, weil sie seiner Meinung nach (und die wird von vielen geteilt) unsere Welt in die Scheiße geritten haben. Und zum Teil ist das auch wahr. Dass die Macht, diese Welt durch den Einsatz von Social Media zu Veränderung zu zwingen allerdings auch von diesen alten Menschen geschaffen wurde und erst ganz allmählich reifen konnte, bzw. musste, entgeht ihm in seinem selbstgerechten Furor leider.

Tja Junge – dieses Mal hast du’s verkackt. Immer nur auf seine eigene Filterblase rekurrieren können anscheinend auch die jugendlichen Weltverbesserer. Mach’s das nächste Mal einfach besser, Verbesserer. Denk’s erst zu Ende, bevor du’s ins Internet scheißt. Dann ist es mir auch vollkommen egal, ob du mich duzt oder siezt. Und Tschüss.

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Postmoderne Gedanken N°5 – Sprache de-konstruiert?

Sich „einen Begriff“ von etwas machen, etwas „begreifen können“; das ist eine grundlegende Komponente des Lernens an sich. Natürlich – und das kann jeder ganz intuitiv verstehen – bedeutet es, sich Dinge durch eigene sinnliche Erfahrung aneignen zu können. Was ich anfassen, fühlen, riechen, sehen kann, dass kann ich im wahrsten Wortsinn be-greifen. Ein Begriff ist damit der Ausdruck des Verständnisses von einem Sachverhalt oder einem Gegenstand. Doch schon, wenn wir den Radius der Aneignung nur ein Wenig ausweiten und zum Beispiel eine Idee zu begreifen versuchen wollen, stehen wir bereits vor einem Problem. Denn nicht einmal den Prozess des Begreifens selbst können wir nun mit der Metapher von der Berührung beschreiben.

Schon in unserem ureigensten Kulturraum besteht also ein immanentes Problem darin, sich anderen wirklich verständlich machen zu können. Ein Bild, das in meinem Kopf wohnt, bleibt darinnen und wird nur schwerlich durch bloßes Beschreiben ein wahrhaft kongruentes Abbild im Kopf eines Anderen finden können. Natürlich gibt es sowas wie gemeinsame kognitive Landkarten; sozusagen Pläne, durch die wir Wissen, Konzepte, Ideen und vieles mehr miteinander zu teilen vermögen. Unsere Sprache selbst ist eine solche Landkarte. Kognitive Landkarten entstehen durch den sozialen Umgang, das gemeinsame Lernen und Begreifen und brauchen für ihre Reifung vor allem zwei Dinge: Zeit und Training.

Teilen Menschen eine Sprache, wird das funktionieren. Doch wir Menschen sprechen nicht alle dieselbe Sprache. Und so wie das soziale Lernen einerseits und das sinnliche Begreifen andererseits unser Denken formen, so tut dies auch unsere Sprache, indem sie Begriffe für Konzepte bereitstellt – oder auch nicht. Die Kognitionspsychologin Lera Boroditsky forscht schon seit einiger Zeit an der Frage, wie stark unsere jeweilige Sprache unsere Wahrnehmung und damit unser Denken beeinflusst. Wer’s genauer wissen will, liest den verlinkten Artikel, aber ganz kurz gesagt: um eine Vorstellung von manchen Dingen haben zu können, brauche ich dafür ein Wort. Und manche Sprachen haben Worte für Dinge, die wir nicht verstehen; dafür sind zum Beispiel zum eigenen Standpunkt relationale Zeit- oder Ortsangaben manchmal nicht vorhanden. Da kann’s schon schwierig werden, sich um 13:30 am Paradeplatz zu verabreden….

Wenn Sprache aber auf so profunde Weise unser Denken beeinflusst, dann kann man sie auch als Waffe benutzen. Und das geschieht bereits an jeden Tag, da man Faschos erlaubt, den Diskurs im öffentlichen Raum zu brutalisieren. Gegen die Meinungsfreiheit, den Rechtsstaat, das Solidarische Prinzip, die Soziale Marktwirtschaft und eine offene, pluralistische Gesellschaft, kurz, gegen alle Errungenschaften unseres demokratischen Staatswesens wird gehetzt und polemisiert. Unsere wunderbare Sprache verroht, wird der Nuanciertheit und Tiefe beraubt und von Nazisprech unterwandert. Und was tut unser Ministerpräsident Kretschmann: findet, das Rechtschreib-Unterricht nicht mehr so wichtig ist, weil intelligente Geräte uns ja korrigieren. Diese nachgerade dämliche Aussage bedarf einer klaren Antwort: NEIN!

Ich bin kein Verschwörungs-Theoretiker, der über die Möglichkeit nachdenkt, durch Algorithmen dann den Wortschatz zu steuern und so alle ins Dunkel des Faschismus zu ziehen. Obwohl das – rein theoretisch – durchaus möglich wäre. Allerdings dient der Unterricht in Rechtschreibung ja auch dazu, das Sprachgefühl und den Wortschatz der Schüler wachsen zu lassen. Und wenn ich die nicht mehr – auch und gerade – mit der Notwendigkeit des Übens konfrontiere, lassen sie’s natürlich sein. Es ist zwar nicht so, dass der Gebrauch von sozialen Medien bislang nennenswerte Erosionsspuren in unserer Sprache hinterlassen hätte. Sprache als Kulturtechnik unterliegt allerdings immer einem gewissen Wandel, der auch jetzt zu beobachten ist. Doch bevor man dort schreibend und rezipierend tätig wird, sollte man die Fähigkeit zum schriftlichen Ausdruck gefestigt haben. Und dazu braucht es nun mal Rechtschreib-Unterricht, werter Herr Kretschmann.

Der Zusammenhang zwischen dem möglichen Begreifen unserer Welt und dem Erlernen von Sprache ist Manchem offenkundig nicht klar. Ich will es ein wenig vereinfachend ausdrücken, wenn ich Folgendes sage: verarmt die Sprache, so verarmt automatisch meine Fähigkeit, mir die Welt verstehend zu eigen machen zu können. Eine solche Begrenztheit des Horizonts würde manchen Menschen, deren Pläne ein gewisses Maß an blindem Gehorsam bei ihren Anhängern voraussetzen, gut in den Kram passen. Den Neurechten Denkern zum Beispiel. Für die meint „Dekonstruktion“ eine Absage an das zwanghafte „Interpretieren-Müssen“ von Texten. Nehme ich Worte aber einfach für wahr, ohne Sprecher, Kontext, Intention mit einzubeziehen, ist es viel wahrscheinlicher, dass ich dem Rattenfänger mit seiner Flöte hinterher renne.

Für mich bedeutet Dekonstruktion eher eine Veränderung der Art des Interpretierens; dabei spielen eben gerade Sprecher, Kontext und Intention eine wesentliche Rolle. Denn genau die Intention interessiert mich, weil diese zu verstehen das Mittel schafft, die Methoden zu demaskieren, mit denen die Faschos unsere Sprache unterwandern. Wahrscheinlich denke ich für viele zu kompliziert. Ich möchte aber, das meine Rezipienten da draußen eines mitnehmen: der Verrohung unserer Sprache und dem Verlust an Differenziertheit im Diskurs müssen wir entgegenstehen. Immer und Überall! Bonsoir…

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Übergänge im Nebel…

Irgendwann am Sylvester-Abend, den unsere Kinder zum allerersten Mal bis zum bitteren Ende – oder ist es vielleicht doch ein Anfang – mitmachen durften, stellte ich meiner älteren Tochter die Frage, ob sie denn denken würde, dass am nächsten Tag alles anders wäre, nur weil Sylvester sei. Wir waren darauf gekommen, weil sie diese unbändige, kindliche Freude auf das Neue auslebte und ich Depp mir dachte, eine kleine Dosis Realität wäre nicht das Schlechteste. Sie dachte jedenfalls einige Augenblicke nach und antwortete dann sinngemäß, dass es wohl darauf ankäme, was ich gerade meinen würde. Kluges Kind!

Jedes Jahr wieder feiern wir unsere hergebrachten Rituale. Ich hatte bereits neulich darüber gesprochen, wie sehr ich solche kleinen Zeichen brauche; Zeichen, die mir klar machen, dass in all den Wirren, all der Unsicherheit, all den Wagnissen ein Ort wartet, der Frieden und Ruhe schenkt. Selbst, wenn dieser Ort nicht unbedingt räumlich zu beschreiben ist, weil er sich erst im Tun wahrhaft realisiert. Ob das in unserem Wohnzimmer zu Weihnachten stattfindet, oder auf einem sonnenumfluteten Weingut im toskanischen Sommer, ist dabei einerlei.

Doch zurück zum Jahreswechsel. Er verlief erwartbar und ohne größere Pannen – will heißen, es gab zweierlei Fondue, Familienspiele, ein paar wenige bunte Lichter am Himmel (ja, ja, steinigt mich, wenn ihr wollt) und ’ne Buddel Sekt. Soweit, so normal. Auch das Zusammenkommen mit den Kollegen zum Neujahrsfeuer auf der Wache, bei dem meine Kinder die Gelegenheit bekamen, meinen Arbeitsplatz zu erkunden und alle anderen davon zu überzeugen, dass sie nicht von mir sein können, weil sie so wild sind, verlief harmonisch und stressfrei.

Doch was immer ich tat, oder auch unterließ – mit jedem Morgen, da die Arbeit näher rückte, wurde ich unruhiger, weil die Vielzahl der einzelnen Tasks, die mit meiner neuen Aufgabe einher gehen würden auf mich zunächst beinahe beängstigend wirkte. Da kam – subjektiv – ein Bulldozer auf mich zugerauscht, an dessen Steuer ein durchgeknallter Koffein-Junkie auf einem 42-Stunden-Trip saß. Ich behaupte ja immer, dass ich dem Prinzip „SATAN“ = Sicheres Auftreten Trotz Absoluten Nichtwissens huldige. Tatsächlich weiß ich meistens theoretisch ziemlich genau, was zu tun ist. Nur, wenn so viel auf einmal daher kommt…

Ich darf verraten, dass es dann doch nicht so schlimm geworden ist. Geschäftige Tage? OH JA! Heillose Panik? OH NO! Stress? OH DOCH! Womit wir irgendwie bei Louis de Funés angelangt wären, klingt ja schließlich schon etwas nach „NEIN – DOCH – OH!“. In vielerlei Hinsicht war es für mich ein Übergang im Nebel. Fahren auf Sicht. Die Dinge auf sich zukommen lassen. Denn wer lang genug in diesem Geschäft namens Leben unterwegs ist, weiß nur zu gut, das Pläne selten eins zu eins umgesetzt werden können, oder von vornherein falsch formuliert waren; Murphys erstes Gesetz und so.

Mittlerweile lichtet sich der Nebel etwas. Was nicht heißt, dass plötzlich eitel Sonnenschein herrschen würde. Andererseits geht’s mir gut. Ich muss lediglich meine Emotionen davon überzeugen, zu erkennen, was meine Ratio schon weiß. Womit ich ganz sicher nicht alleine bin. Also machen wir doch einfach alle zusammen unseren Frieden mit den schönen neuen Roaring Twenties und schauen einfach mal, was es wird. Wie sehen uns…

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Ein geschäftiges Jahrzehnt

Retrospektiven stehen zum Jahresende immer hoch im Kurs; dieses Mal natürlich unter dem besonderen Aspekt, dass auch ein neues Jahrzehnt anbricht. Im vergangenen Jahrhundert wahren die Zwanziger ein Zeitalter des Umbruches. Wenn die Zwanziger dieses Jahrhunderts in dem Zusammenhang allerdings noch eine Steigerung der eben abgelaufenen Zehner darstellen sollten, na dann Prost Mahlzeit! So einen Standard-Rückblick auf Politisches und Gesellschaftliches werde ich mir übrigens schenken, denn den kann man ja allenthalben schon in den üblichen Postillen und im Fernsehen in zig-facher Ausführung „genießen“: Das’n privates Blog hier, also is auch mein Rückblick privat, verdammich…

Was mich in den Zehnern bewegt hat? Nun zunächst einmal, meine ältere Tochter größer werden und bis in die weiterführende Schule kommen zu sehen. Die Geburt der jüngeren Tochter 2013 und ihr Weg bis in die Grundschule. Das Gefühl, darüber älter zu werden und sich dennoch immer noch jung genug für manchen Quatsch zu fühlen. Die dabei gewonnene Erkenntnis, dass ich mein Leben tatsächlich selbst manage, obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, wie das gehen soll. Ich denke, eines der wichtigsten Themen und Motive war damit das Wachstum als Familie; und vor allem die damit verbundene Verwunderung darüber, wie sehr ich zu einem Papa geworden bin, ohne mir das je so vorgestellt zu haben. Irgendwie ganz schnuffig.

Ich beklage mich manchmal darüber, dass man beim Leben mit Kindern ganz allmählich vom Individuum zu dieser speziellen Rolle – in meinem Fall „Vater“ – kondensiert wird und darob selbst in manchen Dingen mächtig zurückstecken muss. Ohne Frage ist ja nix so beständig, wie der Wandel, also ist dieses Klagen eigentlich sinnfrei. Ich hab doch keine Ahnung, wie’s mir ohne Kinder ergangen wäre. Schwamm drüber. Denn von der Besten Ehefrau von Allen höre ich manchmal ganz ähnliche Töne. Same, but different. Unserer Beziehung scheint es indes nicht nennenswert geschadet zu haben; auch, wenn wir manchmal recht hart geprüft wurden.

Doch meine Zehner bestanden nicht nur aus Kindern und Kochen – was ich wirklich leidenschaftlich gern tue. Auch beruflich hat sich einiges getan. Ich habe nebenher ein Studium absolviert. Und man muss wirklich nebenher sagen, denn mein vorheriger Arbeitgeber hat mich in dieser Hinsicht Null unterstützt. Dennoch konnte ich einen Abschluss in Bildungswissenschaft erwerben und drauf aufbauend in den Bereich der Ausbildung wechseln. Ich mag’s, für das, was ich tue ein solides Fundament zu haben, also bin ich den langen Weg gegangen; und es hat sich gelohnt. Nebenbei hat dieses Studium mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich selbst immer noch gerne lerne. Also bin ich wieder am Lernen, denn ein Masterabschluss muss auch noch her.

Was nicht gut war an meinen Zehnern war? Die Erkenntnis, dass ich die Veranlagung eines Elternteils zu Depressionen offensichtlich vererbt bekommen habe. 2014 war ein wirklich beschissenes Jahr: Erschöpfungs-Depression bis in die Krankengeldzahlung, mit anschließender Wiedereingliederung und der Erkenntnis, dass ich da, wo ich stand, weg musste. Dann, Anfang Dezember ein Telefonat, dass vieles verändert hat und wenige Tage vor Heiligabend der Abschluss mit der einen und der Beginn einer neuen beruflichen Ära. Alles im Geschwindschritt und mit einem gewissen Leibgrimmen.

Sich aus dem eigenen, fast zwei Jahrzehnte lang gesponnenen Kokon zu befreien, kann sehr heilsam sein. Es ist aber auch furchteinflössend. Wäre es eine radikalere Veränderung gewesen; ich weiß nicht, ob ich den Mut aufgebracht hätte. So ehrlich muss man schon mit sich sein. Doch retrospektiv darf ich sagen: alles richtig gemacht. Heute bereitet mir mein Original-Job wieder Freude und der neue Job entwickelt sich prächtig. Was kann man von diesem Teil seines Lebens schon mehr verlangen? Geld war nie so wirklich mein Motor. Ich verdiene es, damit meine Familie und ich ein schönes Leben haben können. Und meine Ansprüche an „schön“ sind heutzutage – abseits essentieller Bedürfnisse – eher weniger materieller Natur.

Ich hatte das Privileg, die Zehner hindurch auch die wenigen, wirklich wichtigen Freundschaften pflegen zu können, die meinem Leben schon lange und bis heute Halt und Balance geben. Sehr zu meiner Freude konnte ich auch manch neuen Kontakt knüpfen. Und selbst wenn ich den Menschen, mit denen ich nun schon ein Stück des Weges gegangen bin nicht immer die Aufmerksamkeit schenken konnte und kann, die sie eigentlich verdienen, so bleibt doch das Gefühl, nicht allein sein zu müssen. Und die Hoffnung, auch anderen Menschen dieses Gefühl geschenkt zu haben und immer wieder neu schenken zu dürfen. Natürlich nicht nur meiner Frau, meinen Kindern, meinen Freunden, sondern auch denen, die – auf die eine oder andere Weise – meiner Hilfe bedurft haben.

Ich könnte also wirklich, wirklich lauter klagen, wie ich immer sage. Doch warum? Es geht mir – objektiv betrachtet – besser, als vielen Anderen. Und nach den Tief-Phasen des vergangenen Jahrzehnts bin ich auch subjektiv gut dabei. Also richtet sich der Blick nun nach vorn. Und da kann ich nur Folgendes sagen: Ich wünsche uns allen einen erfolgreichen, gesunden und gesegneten Start in 2020! Mögen es die besseren Roaring Twenties werden…

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Schrei dich frei!

…oder eine kleine Anleitung zum Social-Media-Gebrauch:

Da ja heutzutage jeder einen Ratgeber auf den Weg bringen muss, mache ich das jetzt auch. Kostet nichts und ist super Werbung. Wie diese Listicles bei „Wirtschaftwoche“, „Kununu“ und wie die sonst alle heißen. Die haben zwar keinen Mehrwert, also sind sie im wahrsten Sinne des Wortes umsonst, aber hey… wenigstens kann man einen fetten Kommentar drunter setzen und sich wichtig fühlen. Also los!

  1. FOMO (Fear of missing out) ist doch keine Krankheit, sondern unbedingte Voraussetzung für das Überleben des Digital Native im neuen Jahrzehnt. Immerhin sind die „New Roaring Twenties“ gerade im Anbruch begriffen. Nicht nur ein neues Jahr, nein gleich ein ganzes verschissenes neues Jahrzehnt beginnt morgen Nacht. Heidewitzka! Also lasst eure Smartphones 24/7 an und reagiert auf das kleinste Piepen. Insbesondere Nachts. Nachts sind schließlich schon viele wahnsinnig wichtige Dinge passiert. Pissen nach übermäßigem Bierkonsum zum Beispiel…
  2. Postet natürlich auch einfach alles, was euch in den Sinn kommt: volle Teller, leere Teller, eure Shopping-Beute, euer neues Auto, Boot, Haus, Schmuck (damit der Einbrecher den auch auf jeden Fall findet und ihr hinterher über den Einbruch eine super Insta-Story machen könnt!). Eure Follower mögen schließlich Action!
  3. Und überhaupt: generiert Follower. Ihr seid heutzutage nur wichtig, wenn euch irgendwer irgendwohin folgt. Und wenn’s nur der Stalker von Gegenüber ist, in dessen gekacheltem Keller ihr dann vielleicht zu seiner super Insta-Story werdet. Lasst euch von niemandem einreden, dass das Leben eigentlich in der realen Welt stattfindet. Die haben alle keine Follower…ähm Ahnung…
  4. Meinung bildet man sich nicht – Meinung hat man. Und zwar soviel davon, wie nur möglich zu überhaupt allem und am besten sofort! Dieses sagenumwobene „Recherchieren“ und „Nachdenken“ kostet viel zu viel Zeit. Kommt auf den Punkt, sonst postet ein anderer womöglich vor euch. [Das waren die grundlegenden Regeln, jetzt kommt die Politik!]
  5. Satire auf keinen Fall als solche erkennen. Selbst wenn’s ganz einfach wäre, wie etwa beim „Oma ist ne alte Umweltsau“-Song. Satire darf dann alles, wenn man Linke und Grüne durch den Kakao ziehen kann. Und Politiker; die haben ja eh nix besseres verdient. Aber wehe, so eine linksgrünversiffte Sau bohrt da, wo’s ein bisschen weh tut. Etwa beim eigenen Verhalten! Das darf nicht ungesühnt bleiben. Die Greta ist immer als Zumutung zu empfinden! Da könnte ja jeder kommen und mir verbieten wollen, nicht mehr die Ressourcen mit vollen Händen zu verschwenden und dabei unsere Welt immer unbewohnbarer zu machen. Wir haben doch noch eine Zweite in Reserve! Es ist also in jedem Fall wichtig, alles negativ zu kommentieren, was irgendwie nach Umweltschutz klingt.
  6. Überhaupt, der Ton macht die Musik! Mal richtig einen raushauen ist erste Bürgerpflicht. Man sollte vor allem Fremde Menschen duzen, als wenn man sie schon mal vor dem Wirtshaus eigenhändig verprügelt hätte. Deftige Wortwahl hilft immer! Wichtig ist nur, dass man eventuell justiziable Kommentare ganz schnell löschen kann. Also gilt wieder Regel Nr. 1: immer online bleiben. Dann verwischst du die linksgrünen Säue auch besser.
  7. Auch, wenn man so schnell Freunde findet, die genauso denken: Manchmal stolpert man doch über so einen Simpel, der tatsächlich mit dem Anwalt droht. Da hilft nur ignorieren, blockieren und vor allem alle Posts löschen, die vielleicht zu verwerflich waren. Es ist MEINE Blase und ich will in MEINER Blase nur mit MEINEN Leuten zu tun haben! Sonst könnte ich mich ja mit Informationen infizieren…
  8. Nur lesen, was auch passt! Wie schnell landet man sonst in Teufels Küche. Im Netz kursieren so viele Fakten, da wird man ganz schnell wirr im Kopf von. Fakten, insbesondere, wenn sie von den Systemmedien als solche ausgezeichnet sind, muss man in jedem Fall umgehen. UND AUF KEINEN FALL LESEN ODER – NOCH SCHLIMMER – DRÜBER NACHDENKEN! Meine Leute haben schon die Wahrheit gepachtet, da brauche ich keine Fakten!

…so, alle schon am Schnappatmen? Ja wunderbar. So funktioniert Erregung in den sozialen Medien. Vielleicht finde ich das eine oder andere meiner absolut satirisch gemeinten Anleitung zum Social-Media-Gebrauch irgendwann auf einschlägigen Seiten wieder. Drauf geschissen. Ich würde mich entsetzlich freuen, wenn wir die, tatsächlich anbrechenden Neuen Zwanziger zum Anlass nähmen, wieder unseren Verstand zu benutzen und nicht jedem Rattenfänger hinterher zu laufen. Und dabei ist es mir, auch wenn ich ein alter Soze bin, vollkommen Wumpe, ob das Grüne, Schwarze, Blaue, Braune, Rote, Gelbe oder irgendwie karierte Rattenfänger sind. Alle bieten doch heutzutage Opinion To Go an, als wenn man sich für informierte Entscheidungen nur am Grabbeltisch des Vorgekauten bedienen müsste.

Eine informierte Entscheidung treffen zu können – und die ist das Kennzeichen der Mündigkeit, von welcher Kant so gerne sprach – bedingt, zuvor Informationen gewonnen zu haben. Und wie das bei allen kostbaren Ressourcen so ist: sie zu erlangen, kostet Anstrengungen. Worauf viele Menschen heutzutage keinen Bock mehr haben. Und bevor jetzt gleich wieder einer losjodelt: das betrifft alle Altersgruppen. Darum hier meine wichtigste Bitte für 2020: da auch ich nicht von social media lassen kann, weil es für mich, neben der Funktion als Beobachtungsort für Idioten in ihrem natürlichen Habitat, auch noch für andere Dinge gut ist: DENKT BEVOR IHR POSTET! UND WENN IHR AUCH NUR DEN FUNKEN EINES ZWEIFELS HABT – NICHT POSTEN, SONDERN WEITERDENKEN! Danke… Peace…

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