Bienvenue en Normandie – Zwischenspiel…

Ich war gestern schon am frühen Abend müde. Eigentlich keine Feststellung, die es wert ist, in einem Blogpost festgehalten zu werden. Allerdings suchte ich nach einem eher leichten Reisetag (Ausschiffen und durch den Zoll in Cherbourg, gefolgt von einer 2,5h Spazierfahrt durch die Nomandie, um zu unserer letzten Location für diesen Urlaub zu kommen) nach einer Begründung für meine Mattigkeit. Ich fand sie in der Idee, dass viele neue Eindrücke kognitiv Last erzeugen und damit Energie verbrauchen, selbst, wenn man physisch gar nicht so viel tut. Lässt sich vermutlich sogar wissenschaftlich begründen, darum soll es hier aber gar nicht gehen. Viel mehr fragte ich mich, ob ich mich selbst – in meinem derzeit immer noch angeschlagenen mentalen Zustand – mit dieser Reise nicht überfordere? Wir machen viele Kilometer (am Ende werden es ca. 4.000 mit dem Auto und 1.400 mit dem Schiff gewesen sein) durch Belgien, Frankreich, Irland. Wir haben eine Menge gesehen und erlebt. Bislang hatte ich eher den Eindruck, dass der dadurch entstehende Abstand zu den anderen Verpflichtungen in meinem Leben mir gut täte. Meine wieder erwachte Kreativität hatte ich ja schon thematisiert. Und doch merke ich, dass es dann langsam mit hierhin und dorthin und dies hier noch anschauen (weil man nicht so schnell oder gar nie wieder da hin kommt) und jenes noch besichtigen einfach genug ist. Mein Körper darf ruhig Bewegung erhalten, aber mein Hirn braucht dann jetzt doch mal die Hängematte zum verschärften Verdauen. Momentan unterstützt mich das Wetter ein bisschen, denn auch hier in der Normandie bleiben wir von Wind und Regen nicht verschont. Da will man nicht unbedingt vor die Tür.

Und doch… wenn ich daran denke, nächste Woche um diese Zeit schon wieder arbeiten zu müssen, wird mir das Herz schwer. Dann werde ich mir vermutlich wünschen, in einem schönen Ferienhaus durch das Fenster dem Regen zuschauen zu dürfen, nachdem ich die wenigen sonnigen Stunden des Tages für einen Ausflug genutzt hatte. Oft fühlt sich meine Arbeit nicht wie ein Müssen an; doch derzeit stecke ich in einer Krise fest, die mich nicht loslassen will. Und ich konnte ein Weile gar nicht mal sagen warum. Nun jedoch denke ich, dass ein Teil von mir ganz genau weiß, dass ich mit meinem Leben etwas vollkommen anderes anfangen möchte, während der moralinsaure Besitzstandswahrer rumjammert, dass ich nichts verändern darf, weil Verantwortung und Einkommen und Lebensstandard und Leitungsposition und Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten… Schön und gut, aber letztlich gestalte ich im Moment genau nichts von dem, was zu gestalten ich berufen und befähigt wäre, weil alle Anderen rings umher aus wirtschaftlichen, politischen und sonstigen Erwägungen auf der Bremse stehen. Ich habe also keinen – oder zumindest subjektiv nur wenig – Einfluss, sondern verwalte. Und halte meinen Arsch hin für alles, was Anderen nicht in den Kram passt. Was soll ich hier also noch? Was genau lässt mich verweilen? Ich kann’s euch ganz genau sagen – mein Team! Die Leute, die jeden Tag auf’s Neue an meiner Seite in den Ring steigen und gegen all diese Widerstände verdammt gute Arbeit abliefern. And that’s it. Wären die nicht mehr da, wäre ich auch weg. Und vermutlich umgekehrt genauso. Das war bei meinem vorherigen Arbeitgeber genauso. Letztenendes wiederholt sich wohl alles auf die eine oder andere Weise.

Um das alles zu wissen und trotzdem irgendwie nicht vom Fleck zu kommen, ist gelinde gesagt desillusionierend. Immer wieder habe ich Ideen, was ich tun oder auch lassen könnte, um die Dinge für mich in Schwung oder aber in Ruhe zu bringen. Immer wieder setze ich mich mit diesen Ideen auseinander, beginne zu planen, mach mir Vorstellungen… und lasse es dann doch sein! Teils aus Angst vor der eigenen Courage, teils aus Vorsicht, weil ich nicht nur für mich selbst verantwortlich bin. Aber eigentlich ist das alles nur eine beschissene Ausrede! Denn mit dem was ich kann, kann ich ziemlich viel! Jedenfalls genug um auszusteigen und ES (also meine Arbeit) woanders auf andere Weise zu tun; und zwar auf eigene Rechnung. Wann ich endlich den Arsch hochkriege? Keine Ahnung, aber die Zeit wird langsam knapp. Für den Arbeitsmarkt bin ich bereits ein alter Knochen und auch Hochqualifizierte haben’s als Ü50er nicht leicht. Also hoffe ich von Urlaub zu Urlaub, endlich die nötige Energie zu finden, alles auf NULL zu stellen und noch mal durchzustarten. Zumindest kann ich sagen, dass es – der anfangs erwähnten kognitiven Erschöpfung zum Trotz – bislang sehr gut getan hat, andere Dinge gesehen und getan zu haben. Diesen Schwung mitzunehmen gelingt mir allerdings nicht immer richtig gut. Oft braucht es nur einen einzigen Arbeitstag um wieder Urlaubsreif zu sein. Ich könnte also Tipps gebrauchen, wie es dieses Mal besser klappt. Doch falls ich keine bekommen sollte – die nächste Reise kommt bestimmt. Und damit auch neue Hoffnung. Wir lesen uns, wenn ich wieder daheim bin. Bis dahin gute Zeit.

Hartelijk welkom in Brugge…

Es ist nur eine Stipvisite, aber… Ach, beginnen wir die Geschichte doch einfach ein paar Tage früher. Zum Beispiel in dem Augenblick, wo ich merkte, dass mein Kopf gerade nicht so kann, wie er eigentlich müsste. Weshalb ich zwei Wochen draußen war. Also draußen aus diesem Prozess, den man Arbeitsleben nennt. Ich meine, ich war ja trotzdem häufig drinnen – also zu Hause in den eigenen vier Wänden. Außer, wenn ich draußen war, also weil ich ging, um den Kopf freizukriegen. Jedenfalls war zu dem Zeitpunkt unser Urlaub schon lange geplant, gebucht und bezahlt. Und weil die zwei Wochen Arbeitspause kombiniert mit den richtigen Gesprächen (vor allem mit den richtigen Leuten, auch Fachleuten) mich zwar wieder geerdet, aber nicht wirklich erholt hatten, hielten wir an dem Plan fest, jetzt wegzufahren. Nun haben wir dieses Jahr so etwas wie eine Rundreise geplant. Und die erste Station ist Brügge in Flandern. Wir kamen gestern Nachmittag hier an und haben seitdem eine Menge Eindrücke gesammelt, bevor es morgen früh weitergeht nach Cherbourg. Die Stadt ist… entspannt. Ja, natürlich ist an den Touri-Hotspots in Brügge auch an einem bedeckten Mittag mit gelegentlich leichtem Nieselregen die Hölle los. Wir haben immerhin (noch) Hauptsaison. Aber es ist immer noch nicht so wuchtig, wie an anderen Orten, die ich schon besucht habe. Und irgendwie ist alles überschaubar weit voneinander weg, was es hier irgendwie arg nett macht…

Es ist komisch, wie – aus großer Ferne betrachtet – all der Ungemach um all die kleinen Ränke und Spielchen, all das gelegentliche Tamtam (oft um nichts als eigene Eitelkeiten), all die überzogenen Forderungen plötzlich zusammfällt wie ein Soufflé, wenn man die Ofentür zu früh aufmacht. Die Probleme sind irgendwann im Rückspiegel so klein geworden, dass ich sie jetzt kaum noch auf einer Landkarte zu finden vermochte. Ja… wenn ich mich darauf konzentrierte, käme bestimmt wieder alles hoch. Aber wisst ihr was: f***t euch, einen Teufel werde ich tun! Morgen warten auf mich (und natürlich meine Lieben) wieder einige Hundert Kilometer Strecke und das Einschiffen nach Dublin. DAS ist es, worauf ich mich im Moment konzentriere. Und vielleicht darauf, diesen Text fertig zu schreiben 😉 aber auch das wird schon. Wenn man durch die Gassen geht, vorbei an all den alten Häuschen (wir wohnen in so einem), vorbei an den Kontoren, Kirchen, Plätzen und Waffelläden (ja wir sind in Belgien, was soll ich halt sagen), dann bleibt das Auge noch viel öfter hängen als die Zunge, dann wird der Auslöser meiner Kamera so oft benutzt, dass es irgendwann beinahe schmerzt… nein Scherz, so schlimm KANN es für mich nicht kommen. Aber die Summe der Eindrücke ist eindrücklich erdrückend. Man ist ganz plötzlich in einer ganz anderen Welt und nach einem witzigen (und höchst leckeren) Abendessen gestern war die Entkopplung vom Alltag schon beinahe komplett. Dem hat der heutige Tag bislang wirklich noch einiges hinzugefügt. An dieser Stelle ein Tipp: ja, die Bootsfahrten auf den Reien von Brügge (so nennt man hier die Kanäle, welche die Stadt durchziehen) ist zwar so ein Touri-DIng – aber total schön und für mich das Geld in jedem Fall wert.

Apropos Geld… ich stehe unterdessen auf dem Standpunkt, dass a) das letzte Hemd keine Taschen hat (ich habe schon viele Sterben sehen und bin durch diese Erfahrungen davon überzeugt, dass der Volksmund hier verdammt Recht hat), b) mein Leben daher also JETZT stattfindet, nicht jedoch erst, wenn ich in Rente gehe (denn es könnte auch schon vorher vorbei sein) und c) regelmäßig neue (sinnliche) Erfahrungen zu machen so ziemlich das einzige ist, wofür sich ein Kapitaleinsatz lohnt; zumindest wenn zuvor die existenziellen Bedürfnisse gestillt sind – UND NEIN! EIN VERSCHISSENES NEUES IPHONE IST KEIN EXISTENZIELLES BEDÜRFNISS! Man kann ein Leben nur leben, nicht kaufen… Jedenfalls bedeutet dies zusammengenommen, dass ich bei der Zusammenstellung der Reise im Rahmen unserer Möglichkeiten keinesfalls zur billigsten Variante gegriffen habe. Was auch für die Lustbarkeiten vor Ort gilt, denen hinzugeben wir uns noch aufmachen werden. Mir ist im Übrigen bewusst, dass diese Position privilegiert ist, da sich ca. 20% der Deutschen offensichtlich nicht mal eine Woche Urlaub leisten können. Aber ich werde ganz gewiss nicht die alte “Leistungsträgerleier” vom “mehr anstrengen”, “sparsam sein und Kapital aufbauen” oder derlei Quatsch herbeten. Vor 60, 70 Jahren konnte man mit eigener Hände Arbeit noch ein Vermögen aufbauen, weil die gesellschaftliche und soziale Situation eine andere war. Aber manche Menschen konnten auch damals schon NICHT auf einen grünen Zweig kommen, weil sie systemisch benachteiligt wurden und werden (im Grunde alle jene, die nicht den heteronormativen Familienvorstellungen der Konservativen entsprechen, welche bedauerlicherweise bis heute in erheblichem Umfang unser Land strukturieren). Eingedenk all dieses Wissens habe ich trotzdem keinen Schmerz, so zu urlauben, wie wir es tun. Denn der bescheidene Überfluss, welcher uns zur Verfügung steht, entsteht im wesentlichen in abhängiger Erwerbsarbeit. Und dafür, halt zur rechten Zeit die richtigen Entscheidungen getroffen und sich bis in die Erschöpfungsdepression geschuftet zu haben werde ich mich nicht entschuldigen, sondern den Umstand genießen, dass die Früchte dieses Tuns mir nun die Gelegenheit geben, mich von einer neuerlichen Depression zu erholen. Wir hören uns daher die Tage… nur dann schon wieder von woanders…

Workplace culture?

Es ist schon irgendwie komisch; sehr oft wenn Menschoide über die Arbeit anderer Menschoiden sprechen, dann neigen sie entweder dazu, diese schlecht zu machen. Oder aber, sie versuchen, sich deren Erfolge an die eigene Brust heften. Okay das ist jetzt möglicherweise ein kleines bisschen übertrieben, aber es ist ein wiederkehrendes Motiv, welches ich immer und immer wieder wahrnehme. In Kommentarspalten, in persönlichen Gesprächen, ja sogar in Zeitungsartikeln und Videos muss ich immer wieder sehen und hören, wie niederträchtig über die vermeintliche Nicht- oder Schlechtleistung der jeweils anderen Beschäftigtengruppen, bzw. deren Beitrag zur Gesamtleistung in der eigenen Organisation gesprochen wird. Nicht selten fällt dabei der Begriff “Sesselfurzer”; ein höchst despektierliches Wort für jene Menschen, die anstatt körperlicher Wissensarbeit leisten. Und nur um das an dieser Stelle in aller Form und endgültig klarzustellen: Wissensarbeit ist genauso Arbeit, wie Hausbau, Güterproduktion oder Transport! Wir mögen dann und wann über den realen Gehalt dieser oder jener Tätigkeit streiten können (Stichwort hier: Bullshitjobs) – aber am Ende des Tages bleibt Wissensarbeit eine Arbeit wie jede andere auch. Wertschöpfung bemisst sich nicht nur an der Menge der verarbeiteten Materialien, sondern auch an der Qualität der Ergebnisse; und DIE hängt in wesentlichem Maße von der Zuarbeit der “Sesselfurzer” ab: Workflows organisieren, Arbeitsmittel und Ressourcen heran schaffen, Aus- Fort- und Weiterbildung für alle Beteiligten bereitstellen, Werbung machen, die laufende Mittelverwendung optimieren, das Geld eintreiben und verteilen, und, und, und… Wenn das keine Arbeit ist, könnt ihr’s ja mal Blaumann-only versuchen. Da wird euch nach kurzer Zeit die Puste ausgehen, wenn niemand den “Papierkram” für euch erledigt, ihr Superhirne. Zumal diese ganze Schattenfechterei zwischen einzelnen Parteien vom eigentlichen Problem ablenkt.

Seit Corona flammen immer wieder die gleichen – im übrigen unnötigen – Diskussionen über die Frage auf, ob mobiles Arbeiten oder Home-Office (oder wie auch immer das Kind nun genannt oder organisiert sein soll) nun produktiver oder unproduktiver seien, als die typische Präsenz-Tätigkeit im Büro. Da haben wir schon die erste künstliche Dichotomie: denn man – lies: Arbeitgeberverbände und deren Lobbystiftungen – grenzt jene, die einen Arbeitsplatz haben, der auch von zu Hause stattfinden kann ab gegen jene, denen das nicht möglich ist; und facht in dieser Zone immer schön ein Feuer des Streits an, um vom eigentlichen Thema abzulenken, zu welchem wir alsbald kommen werden. Butter bei die Fisch: ich habe 26 Jahre im Einsatzdienst und auf Rettungsleitstellen gearbeitet. Und es wäre mir im Leben nicht in den Sinn gekommen, zu beklagen, dass andere es besser hätten, weil sie in einem Büro, oder eben nicht in einem Büro sitzen. Denn am Anfang stand halt die verfluchte Berufswahl. Und wenn DICH dein Job jetzt so ankäst, dass DU es nicht ertragen kannst, dass dieser Verwaltungsheini, Lehrer, oder sonstwer einen oder zwei Tage die Woche von daheim arbeiten darf – dann such DIR verdammt noch mal was anderes. DEIN Problem ist nicht der Job der anderen Person, sondern DEIN eigener, GODDAMIT! Aber… das Framing durch Lobbyismus und regelmäßig wieder lancierte Studien, die dieses oder jenes behaupten, hält den Kampf an dieser Front am Laufen. Auf die Art und Weise generiert man ein Feindbild: den “Sesselfurzer”. Es ist a) Blödsinn, zu glauben, dass alle Menschen, die in Büros wohnen nichts arbeiten würden und b) aus verschiedenen Gründen eine verdammt gute Sache für alle Beteiligten, wenn man denen unter bestimmten Umständen mobiles Arbeiten ermöglicht. Lässt sich auch recht gut begründen:

  • Umweltvertäglichkeit: weniger Pendeln = weniger Emissionen = Umweltschutz. Könnte eigentlich jeder verstehen können, der noch sechs bis acht funktionierende Hirnzellen hat. Aber das mit der Umwelt geht offensichtlich ja nicht wirklich in viele Schädel rein…
  • Sozialverträglichkeit: verschiedene Aspekte des Privatlebens und der Arbeit lassen sich so wesentlich besser unter einen Hut bringen. Und ja, das bedeutet bisweilen auch, dass die Arbeitszeit zergliedert sein mag. Solange jedoch die abgelieferte Leistung im richtigen Verhältnis zum gezahlten Gehalt steht, ist mir – auch als Vorgesetztem – am Ende herzlich egal, wann genau diese Leistung erbracht wurde, FALLS das Gegenüber die Vorzüge dieses Arrangements ebenso zu schätzen weiß. Überdies sind manche Menschen Introvertierte – und die BRAUCHEN ihre Zeit zum Nachladen der sozialen Batterien.
  • Produktivität: meine persönliche anekdotische Evidenz sagt mir, dass bestimmte Arbeiten in einem ruhigen, abgeschotteten Umfeld besser von der Hand gehen. Bei mir wäre das vor allem klassische Unterrichtsvorbereitung oder das Erstellen von Instruktionsdesigns. Es steht außer Frage, dass sich das Team trotzdem regelmäßig in Person sehen muss, denn Home-Office ist aus meiner Sicht immer nur ein Teil der Lösung. Für die Unken: die ernstzunehmenden Studien kommen allesamt zu dem Ergebnis, dass die gemessene Arbeitsproduktivität bei einer Hybridlösung (Home-Office vs. Präsenz 35 – 65) ideal ausfällt.
  • Teamwork: lässt sich nur teilweise über die Distanz aufrecht erhalten. Aber es ist eine Legende, dass das gar nicht ginge. Mein Team und ich haben das mehrfach bewiesen. Die richtige Mischung aus Nähe und Distanz ist allerdings in jeder Beziehung entscheidend für den langfristigen Erfolg – auch am Arbeitsplatz.

Worum geht es also: es geht NICHT um die Frage, ob Menschen generell im Home-Office fauler sind. Funfact: manche sind das auch am Präsenzarbeitsplatz, denn Penner die sich mit minimalem Aufwand durchs Leben stinken, gibt’s leider überall. Die muss man einfach markieren, observieren und ggfs. eliminieren – egal ob im Home-Office oder im Büro! NEIN, es geht darum, die Gräben innerhalb der erwerbstätigen Masse der Menschen im Lande schön tief zu halten, damit wir working people ja nicht auf die Idee kommen, mit einer Stimme zu sprechen. Wo kämen wir denn da hin? Da kommt ja am Ende noch “TAX THE RICH” raus. Das geht ja mal gar nicht. Kleines Rechenbeispiel: Jemand hat 100 Millionen auf der Bank. Darauf bekommt die Person, wenn sie gut verhandelt hat derzeit ca 2,5% Zinsen (wahrscheinlich mehr, denn man braucht viel Kapital, um neues FIAT-Geld erzeugen zu können). Das sind 2.500.000,00 €. per Anno. Darauf werden in Deutschland 25% Kapitalertragssteuer also 625.000,00€ fällig. Und noch mal der Solidarzuschlag in Höhe von 5,5% des Kapitalertragssteuersatzes. In diesem Fall sind das 34.375,00€. Bleiben also 1.840.625,00€ per anno übrig. Würde das als normales Erwerbseinkommen versteuert, würde deutlich mehr fällig. Der Einfachheit halber nehmen wir den Höchststeuersatz von 45% (stimmt nicht ganz, lässt sich hier aber leichter darstellen). Das wären dann 1.125.000,00€ mit einem verbleibenden Einkommen von 1.375.000,00€ – oder 465.625,00€, die der Staat NICHT einnimmt, weil er erwerbsloses Kapitaleinkommen gegenüber Erwerbseinkommen aus eigener Tätigkeit bevorteilt. Und das kommt NUR UND AUSSCHLIESSLICH einer Gruppe in Deutschland zu Gute: dem oberen Prozent. Und da wird wesentlich mehr Kapital bewegt als lumpige 100 Millionen, das waren doch schon 1994 mur Peanuts, nicht wahr, Herr Kopper?

Die ganzen Neiddebatten, das scheinbar nutzlose Wiederaufkochen alter Diskussionen, das Veröffentlichen dieser oder jener Studie, das dauernde Trara irgendwelcher Arbeitgeberverbände, wir würden alle zu wenig arbeiten – all das dient nur dem Zweck, dass wir NIEMALS wirklich darüber nachdenken, das Geld, welches uns fehlt, um den Schwächsten der Gesellschaft ein würdiges Leben zu ermöglichen, sofern sie dazu nicht selbst in der Lage sind, dort holen, wo es eh schon zuviel von allem hat. Und nur mal so am Rande – viele Staaten in der EU haben Höchststeuersätze weit jenseits der 50%-Marke. Wie wir übrigens auch bis ca. zum Jahr 2000. Man möchte es kaum glauben, aber ausgerechnet während der, ansonsten eher neoliberal ausgerichteten Ära Kohl (1982- 1998) waren deutlich mehr Steuern fällig als heute… Wenn also jemand für mich den Begriff “Sesselfurzer” benutzt, weil ich (leider zu viel) sitzender Tätigkeit nachgehe, dann kann ich nur mit Schulter zuckend sagen: “DU hast GAR NICHTS verstanden, DUMMY!” Eine gute Workplace Culture wäre folglich, zu akzeptieren, dass a) nicht alle Tätigkeiten gleich und b) nicht alle Tätigkeiten GLEICHWERTIG sind; und überdies c) nicht alle Tätigkeiten auf die gleich Art und am gleichen Ort erbracht werden müssen. Kommt drüber hinweg ihr hart arbeitenden Wertschöpfer da draußen. Schönen Tag noch.

Auch als Podcast…

…unfinished business!

Ich gab zuvor schon einige Hinweise auf meine momentane Situation. Nun ist es so, dass ich – vollkommen unabhängig von meinem derzeitigen Zustand – sowieso immer jede Menge Zeug rumliegen habe, mit dem ich nicht so recht vorankomme. Aufgaben die unerledigt bleiben. Projekte, die ich nicht vorantreibe, entweder weil sie zu anstrengend, zu kompliziert oder zu langwierig sind; und ich mir das überdies vorher einfacher vorgestellt hatte. Alltagskram, der einfach nicht von der Hand gehen will. Jeder von uns hat vermutlich diesen kleinen Friedhof von Lebenslast, der einfach nicht weggehen will. Aber wie soll er das auch, wenn man sich nicht dazu aufraffen kann, etwas gegen diesen mentalen Gottesacker zu unternehmen. Manchmal ist es bloßes Prokrastinieren. Manchmal ist es Ablenkung. Und manchmal ist es Zeitnot. Doch egal welche Ausrede ich mir auch einfallen lasse, vom ignorierend Abwarten wird es nicht besser. Zähle ich jetzt noch meinen derzeitigen mentalen Zustand hinzu, wird daraus plötzlich eine explosive Mischung aus Verweigerung, Indolenz und Überforderung, welche meine Probleme verschärft. Einfache Missgeschicke, die zumeist mit einer charmanten Entschuldigung aus der Welt geschafft werden können, gären dann unter Umständen so lange, bis der üble Geruch der enttäuschten Erwartungen Anderer anfängt, meine komplette Umwelt zu verpesten. Und ich kann den anderen noch nicht einmal böse dafür sein.

Das unerledigte Problem – so als eigene Kategorie – ist für mich EIN Stigma meines Daseins. Und es ist ja nicht so, dass ich nicht eh schon genug Stigmata hätte: zum Beispiel einen an der Klatsche, um es mal etwas unpoetisch auszudrücken. Oder mein manchmal viel zu loses und lautes Mundwerk. Nun ja, jeder legt sich seine Bäreneisen selber aus, in die er dann hinterher hineintritt. Ich hatte vor kurzem schon einmal darauf hingewiesen, dass ich die letzten Tage als einen irritierend angespannten Zustand bitteren Nichtstuns empfinden musste. In meinem Geist flogen zwar diverse Gedanken und Ideenfetzen durcheinander, doch nichts davon konnte soweit reifen, dass es einen – produktiven – Kreativprozess ausgelöst hätte. Ich hänge immer noch in diesem Dazwischen fest und habe keine Ahnung wie lange das noch so weitergehen soll. Ich meine, es heißt doch immer, man soll die Zeit der Rekonvaleszenz für die Dinge nutzen, welche dem aktuellen Leiden, etwas entgegensetzen können; also im besten Falle eine, wie auch immer geartete, Heilung unterstützen. Auf mich bezogen wäre es ein Schaffensprozess, der meinem Geist guttäte, denn ich liebe es, kreativ sein zu können. Nur klappt das leider im Moment nicht…

Ich gehe derzeit so gut wie jeden Tag allein am Fluss entlang. Hauptsächlich, um meine verzwickten Gedanken zu ordnen; und tatsächlich funktioniert das auch. Und zwar genauso lange, wie ich in Bewegung bleibe. Sobald ich jedoch wieder zu Hause bin und versuche, zu greifen, was mir gerade eben noch durch den Kopf ging, ist diese Ordnung, sind diese Ideen oftmals schon wieder verflogen. Zumindest die allermeisten. Ich habe unterdessen den Eindruck gewonnen, dass meine kreativen Muskeln derzeit ohne Erlaubnis eine längere Pause machen. Und zwar irgendwo anders, nur nicht hier mit mir. Daraus folgt jedoch zwangsweise, dass die Bibliothek mit meinem unfinished Business wächst, anstatt kleiner zu werden. Denn so manche Sache wartet dort schon eine ganze Weile auf eine Lösung, einen Kniff, einen Workaround – oder letztlich die Erledigung. Bei meiner Arbeit bin ich (oder besser, war ich) meist in der Lage, Herr der Dinge zu bleiben. Aber möglicherweise habe ich dabei in den letzten Monaten soviel Kraft aufgebraucht, dass die Maschine sich überhitzt hat. Und in der Folge fühle ich mich selbst derzeit wie unfinished business – unfertig, unbeachtet, ungewohnt untätig… oder mit einem Wort UNERFÜLLT.

Nun könnte man mir erwidern “…aber du schreibst doch gerade!”. Und das ist auch wahr. Es stellt den – in meinem eigenen Empfinden allerdings sehr bemühten, ja nachgerade verzweifelten – Versuch dar, mich wieder in den Griff zu bekommen. Wohin der führt, wird sich noch weisen müssen. Ursprünglich hatte ich das Gefühl, Menschen im Stich zu lassen, wenn ich mich in eine ärztlich angeordnete Rekonvaleszenzphase (besser bekannt als AU-Bescheinigung) begebe. Ich bin ja immer noch selbst so dumm, dem sozialen Stigma der psychischen Erkrankungen aufzusitzen, getreu dem Motto “stell dich doch nicht so an, ist doch nur ‘ne Phase” – FICK DICH “nur ne Phase”; nur weil man’s nicht sehen kann ist es deswegen nicht weniger schmerzhaft, Dummy! Mittlerweile bin ich mir nämlich ziemlich sicher, dass ich gut daran getan habe, manche Menschen nicht weiter mit meiner, mutmaßlich letzthin gelegentlich belastenden Anwesenheit zu nerven. Es ist, wie es ist – es ist, was es ist. Manchmal stehst du im Ruderhaus und kannst einfach nur zuschauen, wie der Eisberg näherkommt. Dieses Mal habe ich – hoffentlich – das Ruder früh genug herumgerissen. Wir hören uns – das hier ist für mich nämlich Therapie. Kommt darauf mal klar, liebe Mitmenschen.

Auch als Podcast…

…und der Abgrund schaut zurück!

Wenn einen das Schicksal – oder besser die eigene (Un)Gesundheit – zu einer Auszeit zwingt, dann kann man bemerken, was der Geist momentan noch zu leisten vermag, wenn er NICHT zu irgendetwas gezwungen wird. In meinem Fall lautet die aktuelle Antwort: ZERO! Ich bin an das Funktionieren unter widrigen Umständen unterdessen gewöhnt. Auch daran, weiterzumachen, wenn ich eigentlich lange aufgehört haben sollte. Jemand hat Muhammad Ali mal gefragt, wie viele Wiederholungen er während seines Trainings bei Sit-Ups, etc machen würde. Er antwortete sinngemäß, dass er das nicht wisse, weil er erst zu zählen begänne, wenn der Schmerz käme… Ich kann über physisches Training nicht allzu viel sagen. Aber wenn es um Stressresilienz, kognitive Leistungsfähigkeit, Problemlösen geht, mache ich in aller Regel weiter, auch wenn es schon sehr weh tut. Und dann eben auch länger, als dies sinnvoll wäre, denn jede*r von uns ist irgendwann durch mit “dem Leisten”. Man kann das als Gabe betrachten – oder als Fluch. Das Ergebnis hängt vermutlich vom gewählten Zeitpunkt ab. Das Problem ist, wie bei allen systemischen Kipppunkten, dass man sie erst aus der Nähe zu erkennen beginnt und auch eine Vollbremsung einen erst DAHINTER endgültig zum Stehen bringt. Scheiße daran ist, dass man das eigentlich weiß; und trotzdem jedes einzelne Mal wieder in diese Falle tappt. Nur ein bisschen noch…

Ich hatte die schöne Idee im Kopf, einfach bis zum Urlaub durchzuhalten und dann, in der Ruhe und Abgeschiedenheit den Schalter umzulegen und auch mal ein paar (hundert) Zeilen für meinen eigenen Projekte zu schreiben. Weil ich meine Kreativität ja nicht zu Hause lasse, nur weil ich auf Reisen gehe. Was ich jetzt in den letzten Tagen an mir selbst erlebt habe, lässt mich allerdings sehr zweifeln, dass das auch nur im Ansatz funktioniert haben könnte. Denn meine kreativen Batterien (und im Übrigen auch meine sozialen) sind so lotterleer, dass ich erst mal 48h zum Smombie degeneriert bin. Ich lies mich durch antisocial media und allen möglichen anderen Online-Quatsch treiben und schwamm in meinem Cortisolsee regelmäßig solange hin und her, bis der Akku leer war. Antriebslos. Ideenlos. Von allem überfordert. Erst jetzt, nach ein paar Tagen, da ich echte Maßnahmen gegen meinen Zustand ergriffen und zwischendurch sogar einige wenige, wohldosierte soziale Kontakte gepflegt habe, bemerke ich überhaupt, WIE LEER ich tatsächlich war… und immer noch bin. Als ein gutes Zeichen in diesem Zuammenhang möchte ich allerdings werten, dass es mir wieder möglich ist, mich hier schriftsprachlich so auszudrücken. Die letzten drei Tage war ich nicht mal fähig, kohärente Gedanken zu fassen, die signifikant über das existenziell notwendige hinausgingen. Yeehaa!

Meine Vermutung dazu lautet folgendermaßen: mentaler Detox bedarf des verschärften Müßigganges. Allerdings nicht Urlaubsstyle. Denn Urlaubsstyle würde u. U. bedeuten, dass man irgendwohin reisen muss und für den Aufenthalt dort womöglich ein Programm, oder zumindest einige Highlights eingeplant hat, die man unbedingt gesehen haben muss, weil man ja NIEMALS wieder dahin kommt. Dieser Gedanke ist für mich übrigens noch so ein Grund, lieber in bekannte Gefilde zu reisen… Nichts von dem ziellosen Mäandern, welches die letzten Tage mein Tun und Lassen beherrscht hat, passte jedoch in dieses Muster. Ich bemerkte an mir den Drang nach Zweckfreiheit, wie ich diesen auch im Urlaub habe; allerdings mit dem Unterschied, dass düstere Gedanken mich im Griff hielten und alles Denken, Fühlen, Schaffen zu einem Stopp auf freier Strecke kamen. Rien ne va plus. Das fühlte sich für mich zunächst bedrohlich an, bin ich doch sonst so gut wie nie derart ziellos untätig. Hatte ich nicht erst kürzlich davon gesprochen, dass es mir ein intrinsisches Bedürfnis ist, kreativ tätig sein zu können, ohne dessen Befriedigung ich in ein Loch voll subjektiver Nutzlosigkeit falle? Quod erat demonstrandum. Die Bedrohlichkeit weicht eben der Erkenntnis, dass man nur kreativ sein kann, wenn noch ein Fünkchen Energie in einem verblieben ist. Offenkundig war da allerdings nichts mehr. Womit das, oben erwähnte, gute Zeichen in zweierlei Hinsicht Zuversicht in mir schafft: die düsteren Gedanken lassen sich relativieren, indem man über diese spricht und die Wiederaufladung meiner Batterien ist möglich.

Ich hatte mich selbst in den letzten Wochen einmal mehr – immer mehr – grundlegend fehl am Platze empfunden, meine Wurzeln aus dem Sinn verloren, meine Fähigkeit irgendwie durch den Sturm namens Leben zu navigieren eingebüsst, also verlernt, mich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen. Ja, ja ich weiß, auch mit dem Schwank hatte der Baron von Münchhausen natürlich eine Lügengeschichte erzählt. Aber die Idee, aus eigener Kraft aus einem derben Schlamassel rauskommen zu können, ist trotzdem charmant. Noch sehe ich das für mich selbst allerdings nicht. Aber vielleicht muss ich das mit der richtigen Hilfe ja auch gar nicht? Es würde eh nur wieder diese gefährliche Illusion nähren, dass wir Meister unseres eigenen Schicksals wären, wenn wir doch nicht einmal ein klitzekleines bisschen hinter die Mauer der nächsten Sekunde sehen und uns somit auch nicht gegen die Macht des Zufalls imprägnieren können. Ich werde hier nicht dem Fatalismus das Wort reden, da ich weiß, dass der durch gute Pläne Vorbereitete dem Schicksal wenigstens dann und wann ein Schnippchen schlagen kann. Aber wie wäre es stattdessen mit etwas mehr DEMUT? Insbesondere vor der eigenen Fehlbarkeit und Verletzbarkeit; aber auch vor der Fehlbarkeit und Verletzbarkeit der Anderen. In diesen Abgrund der Erkenntnis starre ich seit ein paar Tagen. Eben hat er zurückgeblinzelt. Mal schauen, was als nächstes kommt…

Auch als Podcast…

Gewitter im Kopf

Das heutige Wetter reflektiert in frappierender Weise mein Innenleben. Einerseits wirke ich äußerlich vermutlich so ruhig und soziabel, wie sonst zumeist auch. Andererseits ist mein ICH gerade in Aufruhr. So sehr, dass ich gegenüber der besten Ehefrau von allen dieser Tage bemerken musste, dass ich zwei Mal die Distanz Erde – Mond von meinem wahren Ich entfernt sei. Während ich diese ersten Zeilen schreibe, geht gerade ein recht ergiebiger Gewitter-Schauer auf die Stadt hernieder. Und ich muss sagen, dass ich es genieße, dem Wasser, welches der Wind vor meinem Fenster vorbeitreibt zuzuschauen. Das Innen und das Außen sind bei verschiedenen literarischen Genres jeweils Spiegel des Gegenüber. Insofern passt dieses Szenario, ist mein Geist doch derzeit verfinstert von Erschöpfung, Irritation, Zweifeln, und anderen negativen Wahrnehmungen, die ich trotz meines umfangreichen Vokabulars nicht so recht zu beschreiben weiß. Manche Dinge fühlt man einfach nur und versteht trotzdem nicht, was da gerade passiert. Und während ich darüber nachsinne, spielt sich draußen ein apokalyptisch anmutendes Wetterchen ab – zumindest, wenn man den Schreien der Passanten lauscht. Here we go again – die Depression ist zurück. Ich will gar nicht so viel darüber sprechen, warum das jetzt gerade so ist, und was ich dagegen nun zu tun gedenke, sondern eher über meine Historie mit dem Sujet.

Ist ja nicht so, dass ich erst seit gestern dieses Päckchen mit mir herum trage. Wenn ich so darüber nachdenke, wie mein Leben bislang verlaufen ist und zu welchen Zeiten mich welche Sorgen und Gedanken mehr oder weniger stark gequält haben, dann liegt der Ursprung vermutlich in meinen mittleren Zwanzigern, eventuell aber noch früher. Die Veranlagung hat mir wohl meine Frau Mutter vererbt, auch wenn sie es für sich selbst niemals zugeben wollte. Und ich konnte damals den Finger nicht drauf legen, weil ich noch nicht den Weitblick und das Vokabular meines mittlerweile 51-jährigen Ichs hatte; wie denn auch? Ich spürte jedoch, dass mit mir irgendwas nicht so war, wie mit den meisten Anderen. Und trotzdem empfand ich früher oft eher geringe Empathie mit den psychisch erkrankten Patienten, welche das Schicksal mir in den Rettungswagen zu spülen beliebte. Vermutlich, war das eine Projektion meiner eigenen Schwächen und Probleme, die ich nicht wahrhaben wollte. Psychische Erkrankungen tragen bis heute ein erhebliches soziales Stigma in sich; damals noch viel mehr. Also konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Ich war doch der Kerl, der zur Hilfe kam, nicht aber der, der Hilfe brauchte! Ich musste erst einen wahrhaft traumatischen Einsatz erleben und 40 Jahre alt werden, um zu verstehen, dass keiner von uns aus Eisen ist. Dann bekam ich meine Erkenntnisse allerdings auch mit der groben Kelle ausgeteilt: 2014 war ich dann insgesamt 18 Wochen krank incl. Wiedereingliederung, bekam Psychotherapie, schluckte Pillen – und stand mühsam wieder auf.

Es hatte auch sein Gutes. Ich bin seit jener Zeit – meistens – deutlich aufmerksamer für meine Bedürfnisse, die tiefen, dunklen Löcher, denen ich besser ausweichen sollte und die Notwendigkeit, Ruhepausen einzulegen. Aber ich musste mir ja unterdessen unbedingt noch einen akdemischen Grad und einen Leitungsjob zulegen. Meine unbändige Neugier, meine Kreativität, meine Skills im Troubleshooting und in der Kommunikation, sowie meine Lust an der Lehre ließen mich da irgendwie rein rutschen und jetzt werde ich nicht behaupten, dass ich diese Arbeit nicht mag. Überdies bezahlt sie einen guten Teil unsere Familienlebens. ABER… eigentlich ist der Stress manchmal zu viel. Und wenn man dann – sozusagen als Sahnehäubchen auf der Schwarzwälder – auch noch herausfinden muss, dass manche Dinge (und manche Menschen) nicht so sind, wie es nach außen den Anschein hatte, kommt man sich halt hart gegaslighted vor. Und so eine Erfahrung macht mit Depressionserkrankten wie mir keine schönen Dinge! Es war in den letzten jahren nie auch nur für ein paar Monate wirklich leicht, den Laden am Laufen zu halten. Und ich bin nicht der Typ, der dann jemand anders ruft. Ich habe mich – stets beinahe ausschließlich von meinem, nur sehr langsam wachsenden, Team unterstützt – immer weiter durch gewurschtelt. Und zuletzt begann einmal mehr alles ganz gut auszusehen. Bis ich – mal wieder – zwei Tiefschläge kassieren musste. Und die kann ich derzeit, beim besten Willen, nicht mehr kompensieren. Meine Energie ist aufgebraucht, incl. dem, was ich noch vor fünf Wochen in Italien nachzutanken die Gelegenheit hatte. Ich kann nicht mehr und ich will auch nicht mehr. Interessant war dabei für mich, einmal mehr erleben zu müssen, dass ich immer noch hochfunktional performe, wenn innen schon alles nach Dresden ’45 aussieht. Das lässt manche Menschen an meiner Aussage zweifeln, dass ich depressiv sei. Denen sage ich: FICKT EUCH! Was kann ich denn dafür, dass ich krank immer noch besser performe, als so mancher vollkommen gesund…?

Eine Weile später ist es da draußen wieder heiter bis wolkig. Das Gewitter in meinem Kopf, das bleibt jedoch. Natürlich ist dieser Zustand das Ergebnis einer komplexen Melange aus Biochemie im Kopf, extrinsischen Einfüssen aus meinem Arbeitsumfeld, Sorgen über das, was daheim rings um das Zusammenleben mit meinen Lieben so alles passiert und – natürlich – gelegentlich nicht allzu günstigen Coping-Strategien. Scheiße gelaufen, Digger! Aber so isses jetzt halt. Und weil es so nicht bleiben kann… werden wir sehen, was die nächsten Wochen so bringen. Immerhin – denken kann ich noch klar. Und ihr so…?

Auch als Podcast…

Warum Leidenschaft?

“Es ist die Leidenschaft, die meine Leiden schafft!” (Tanzwut). Yay, Captain Obvious fliegt wieder, schönen Dank auch! Aber es ist irgendwie wahr – Mittelmaß schafft keinen Sinn. Mittelmaß schafft es mit großer Mühe gerade so nicht, den Status Quo zu bewahren. Mittelmaß ist der Tod der Kreativität, der Innovation, des Lebens schlechthin. Mittelmaß ist der Topor, der etwa in “1984” das Proletariat so sediert, dass es nicht mehr will, nicht mehr wollen kann als dass, was es bekommt; wie schlecht auch immer das – objektiv betrachtet – sein mag. Mittelmaß ist das Ende aller Dinge; oder, wie Francis Fukuyama nach dem Fall der Sowjetunion eitel deklamierte, “das Ende der Geschichte”… Fukuyama war und bleibt, wie wir heute wissen, ein arroganter Trottel sondergleichen, der immer noch an seinem alten Narrativ festhält, obwohl die Auswirkungen der heutigen, multipolaren Weltordnung manchmal so wirken mögen, als wenn das 1989 beschrieene Ende der Geschichte nun wirklich an der Schwelle des Weltengebäudes stünde. Doch die Geschichte schreitet weiter voran und schert sich dabei einen Scheiß darum, ob wir das wollen, ob wir das verstehen, oder ob wir darauf klarkommen. Das Leben und die Geschichte sind, was passiert, während wir versuchen, Pläne zu machen. Aber das ist gar nicht, worum es hier gehen soll. Leidenschaft ist das Stichwort; Leidenschaft als Todfeind des Mittelmaßes, als Motor des Sinns und des Seins, als das Paradox, dass uns im Kern antreiben kann, wenn wir es denn zulassen.

Wenn man etwa Simon Sinek folgen möchte, dann ist Sinn die Antwort auf die Frage, WARUM man etwas tut? Hat man sein persönliches WARUM einmal gefunden und lebt dieses, indem man mit Anderen verbunden ist und ihnen auch dienlich zu sein versucht, dann erlebt man Sinn; durch die Verbundenheit mit anderen Menschen und ein klares WARUM. Dienlich zu sein bedeutet dabei mitnichten, sich selbst aufzugeben, oder stets durch und durch altruistisch bis zur Selbstaufgabe sein zu müssen; es bedeutet vielmehr, Andere an seinem eigenen WARUM teilhaben zu lassen, bzw. ihnen zu helfen, ihr eigenes WARUM zu finden. Ich finde diese Idee gleichsam schlicht, elegant und heilsam, weil sie ein besonderes Augenmerk auf Solidarität und Miteinander legt. Zwei Zutaten, an denen es unserer Gesellschaft heutzutage in erheblichem Maße mangelt. Kommen wir mit dieser Idee zurück zur Leidenschaft, so lässt sich erkennen, dass diese gleichsam Anstrengung und Schmerz aber eben auch Motivation und Sinn beinhaltet. Nur etwas, dass uns fesselt, dass unsere innersten Saiten zum schwingen bringt und uns ein unhintergehbares Gefühl von Lustgewinn, von Freude, von Wachstum gibt, vermag uns dazu zu bewegen, sich den Herausforderungen zu stellen, gleich wie anstrengend oder schmerzhaft diese auch sein mögen. Leidenschaft und intrinsische Motivation sind untrennbar miteinander verbunden. Was natürlich auch in mir diese Fragen aufwirft: Was ist es also, was mich antreibt? Und warum treibt es mich an?

Meine größte Leidenschaft, seit ich mich bewusst erinnern kann war, ist und bleibt das Geschichtenerzählen. Ich habe schon immer Bilder in meinem Kopf gehabt, die mich zum Erzählen angeregt haben. Ob ich schreibe, ob ich Pen’n’Paper spiele, ob ich im Lehrsaal stehe, ob ich mich mit den Bildern auseinandersetze, die ich hier und dort knipse – immer ist da eine Stimme in meinem Hinterkopf, die dazu etwas zu sagen hat, die meine Bilder mit Bedeutung auflädt, die versucht, das MEHR hinter der Summe der Teile zu sehen; und die gleichsam Andere auf diese Reise des Erlebens, oder des Verstehens, oder des Wachsens mitnehmen möchte. Und das ist mein WARUM: ich möchte anderen Menschen durch meine Erzählungen einfach nur die Chance bieten, zu verstehen, zu wachsen, sich zu entwickeln. Und ich will das nicht mit Druck oder mit Zwang erreichen, sondern indem ich sie in meine Geschichten einführe und dort selbst herausfinden lasse, was ihr MOTOR und ihr WARUM sind. Ich möchte dabei einer der Spiegel sein, in welchen sie sich selbst erkennen können! Immer wieder stoße ich dabei auf Hindernisse, lande in Sackgassen, mache Fehler über Fehler, und muss stets auf’s Neue erkennen, dass man niemals wirklich bereit ist für dieses Abenteuer namens “Leben”; und schon gar nicht für das Abenteuer “Lehren”. Man legt einfach los! Man verkackt (manchmal episch)! Man analysiert die Fehler und überlegt sich einen neuen Ansatz – und wird so langsam besser! Wer vom Start weg nach 100% strebt hat nicht verstanden, dass das Leben – und damit alles, was wir unterdessen tun oder lassen – kein Sprint sondern ein Marathon ist! DAS ist der Schmerz, DAS sind die Herausforderungen. Aber wie süß, wie erfüllend es sich anfühlt, wenn eine Geschichte sich entwickelt, wenn sie anfängt zu “funktionieren”, wenn sie in meinem Kopf zu leben beginnt und wenn die Puzzleteile am Ende zusammenzufallen beginnen. Wenn es dann hinterher wenigstens bei ein paar Anderen auch “Klick!” gemacht hat, bin ich mehr als nur ein bisschen zufrieden. Aber der Weg dahin ist nie leicht…

Auch hier und jetzt bin ich im Begriff eine Geschichte zu erzählen. Eine höchst persönliche Geschichte, weil sie – wie so oft, wenn ich hier schreibe – die Möglichkeit eines Scheiterns inkludiert. Und auch das ist ja ein essenzieller Aspekt der Leidenschaft, der eben schon anklingen durfte: eine investierte Anstrengung resultiert nie notwendigerweise in einem Triumph. Du kannst dich noch so anstrengen, alles geben, es sogar richtig gut machen – und wirst trotzdem nur Zweiter. Oder sogar Letzter. All unsere Fähigkeiten, unsere Motivation, unsere Begeisterung garantieren keinen Erfolg – manchmal will es nicht klappen, weil wir noch nicht gut genug sind. “We develop taste, long before we develop skill!” (Danke Matt Colville). Dennoch lebt es sich mit Leidenschaft wesentlich intensiver, als mit Mittelmaß. Ich möchte meine Leidenschaften auf keinen Fall missen, selbst, wenn sie mir ein ums andere Mal eine besondere Art von Schmerz bereiten mögen. So wie etwa mein Wille, für meine Überzeugungen einzutreten, auch wenn der Wind gerade von vorne weht. Meine große Klappe wird mich irgendwann mal in eine Scheiße reiten, die so tief ist, dass ich da nicht alleine wieder rauskomme. Aber das wird es wert gewesen sein – den Kopf erhoben zu halten und zu wissen, dass meine Leidenschaft mich weiter getragen haben wird, als all die Reichsbedenkenträger, Besitzstandswahrer und “Das-haben-wir-aber-schon-immer-so-gemacht!”-Rufer da draußen. Ich sage: Wage, dich deiner Leidenschaft zu bedienen! Also… was ist DEINE Leidenschaft? Was ist DEIN WARUM? Schönen Sonnabend.

Auch als Podcast…

500 Gramm gemischter Hass meets New Work!

Das hier wird ein Rant, denn ich habe die Schnauze voll. Ich wünsche mir oft, Menschen wären offener und ehrlicher im Umgang miteinander! Ich wünsche mir auch oft, dass man sich robust Dinge ins Gesicht sagen kann, ohne dass das Gegenüber sofort ausflippt oder sich beleidigt fühlt, denn manche wahrhaftige Dinge, die man sagen muss, sind nicht immer schön – und man kann diese manchmal auch nicht irgendwie wertschätzend formulieren. Insbesondere dann nicht, wenn Fehler gemacht wurden, oder Forderungen gestellt werden, die ungerechtfertigt sind. Ich wünsche mir übrigens auch, dass die Leute auf der anderen Seite einer Kommunikation genauso offen, ehrlich und robust mit mir sind, wie ich das gerne mit Ihnen sein möchte. Ich habe kein Problem damit, wenn mir jemand etwas (verbal) vor den Latz knallt, weil ich einen Fehler gemacht habe, oder weil ich etwa eine Forderung formuliert habe, die Quatsch ist. Ich habe viel häufiger Probleme damit, wenn Menschen vorne rum aufgesetzt höflich sind und hintenrum anfangen zu hetzen oder zu intrigieren – und das passiert da, wo ich arbeite leider gelegentlich. Jedenfall passiert es dort deutlich häufiger als in meinem privaten Umfeld, denn die Menschen, mit denen ich langfristige soziale Beziehungen führe wissen, dass man mit mir ehrlich sein darf. Und bitte nicht um den heißen Brei herumredet – denn ich bin keine Pussy sondern ein No-Bullshit-Guy!

Ich möchte bitte nicht falsch verstanden werden: ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn man fordert, dass Leute höflich miteinander umgehen sollen und wenn man von allen Beteiligten einer Situation erwartet, sich einer Gewaltfreien Kommunikation zu befleißigen; allerdings erfordert Gewaltfreie Kommunikation, dass ALLE Seiten daran aktiv teilnehmen, bzw. ALLE Seiten die Grundsätze derselben beherzigen! Ich will an dieser Stelle ganz ehrlich sein: ich hasse E-Mails mittlerweile! Das liegt daran, dass ich versuche, auch in E-Mails direkt und – falls nötig – robust zu kommunizieren, um auf Probleme hinweisen zu können. Allerdings kann man meine direkte und robuste Art der Kommunikation auch durchaus missverstehen, WENN MAN DENN UNBEDINGT MÖCHTE! Es ist beileibe nicht so, dass ich da üblicherweise lospoltere wie ein Rumpelstilzchen. Ich formuliere nur manchmal gegebenenfalls relativ scharf und ohne Umschweife. Und damit können manche Leute offenkundig nicht umgehen, bzw. sie benutzen es als Vorwand, mich der Unhöflichkeit und Unprofessionalität zu bezichtigen. Da kann ich ehrlich gesagt nicht mehr drauf! Denn die gleichen Leute reden – hinter meinem Rücken – nicht selten auf höchst despektierliche Weise über mich, ohne mir jedoch jemanls offen ins Gesicht sagen zu können, was sie von mir halten. Und für diese hinterfotzige Bigotterie habe ich keinerlei Verständnis, Energie und Geduld mehr!

Ich bin davon überzeugt, dass man an der Sache hart diskutieren und auch miteinander streiten können sollte, was bedeutet, dass man manchmal Worte wählen muss, die für das Gegenüber vielleicht nicht unbedingt so schön oder nett sind. Aber manche Sachverhalte lassen sich nicht in hübsches verbales Geschenkpapier verpacken, sondern müssen klar benannt werden. Und dieses klare Benennen ist doch tatsächlich für manche Leute, mit denen ich gelegentlich bei der Arbeit zu tun habe, bereits ein Zuviel an Ehrlichkeit. Ich weiß wirklich nicht, ob das anderen Orts genauso ist. Aber zum gegebenen Zeitpunkt habe ich die Schnauze davon voll, jedes Mal einen Eiertanz aufführen zu müssen, weil ich Angst davor haben muss, irgendjemandes Snowflake-Gefühle zu verletzen, wenn ich irgendetwas beim Namen nenne, Goddammit! Es geht mir, wenn ich mich mit gewisser Schärfe äußere so gut wie immer um die Sache; und wenn ich dabei mal persönlich werde, habe ich üblicherweise den Arsch in der Hose, mich dafür zu entschuldigen, denn ich möchte wirklich niemanden verletzen. Aber wenn es so einfach ist, Menschen zum Schmollen zu bringen, dann muss ich mich wirklich fragen, wie manche dieser Menschen es bisher in einem Berufsbild mit so viel sozialem Konfliktpotenzial ausgehalten haben? Denn diese mimosenhafte “Rühr-mich-nicht-an!”-Attitüde passt wirklich überhaupt nicht mit den Anforderungen des Jobs zusammen. Kurz und gut – ich bin mal wieder darauf hingewiesen worden, dass ich böse gewesen sein soll. Doch wenn die ernstgemeinte Schlussformel “Danke für die Aufmerksamkeit” seit Neuestem von jedem Hans und Franz zum Anlass genommen wird, mich als passiv-aggressiv wahrzunehmen, ist das für mich NICHT MEHR AKZEPTABEL! Heult doch; aber kommt damit bitte nicht mehr zu mir. Tschüss!

Auch als Podcast…

Sind KIs Kapitalisten?

Ich habe heute morgen einen schönen Satz gelesen: “Das Rad der Zeit hat einen Elektromotor bekommen.” Der Autor sprach dabei von der möglicherweise zunehmenden Verblödung durch die ubiquitäre Nutzung von KI – oder besser dem, was wir gerne für künstliche Intelligenz halten würden… Doch darauf kommen wir später zurück. Tatsächlich ist dieser Motor ja aber schon vor langer Zeit montiert worden, er wird nur in regelmäßigen Abständen “verbessert”. Selbst, wenn wir nicht über all die Entwicklungen von der Steinzeit bis in die Rennaissance reden wollen, bleibt da doch noch einiges Bemerkenswertes. Zuerst kam in der Moderne die Dampfmaschine, dann der Elektrogenerator, dann das Auto, dann der Rundfunk, das Fernsehen, und schließlich irgendwann – befeuert durch die DARPA-Projekte, wie etwa das ARPANET und die Entwicklung von HTML durch Tim Berners-Lee – die wunderbare Online-Welt. Und stets gab es Dinge, Umstände, Sachverhalte, Erkenntnisse, die damit jeweils einher gingen, wie etwa die, dem Taylorismus folgende Arbeitsteilung, die von Henry Ford eingeführte Fließbandarbeit, neue soziale Ordnungen und der Kampf um die diesbezügliche Deutungshoheit – und natürlich der Kapitalismus als jene Wirtschaftsordnung, welche von so vielen fälschlicherweise als symbiotisch der Demokratie zugehörig erachtet wird, dass alles Andere UNDENKBAR scheint. Da wird von den immer gleichen Möchtegern-Leistungsträgern und Entscheidern immer davon gesprochen, dass der Sozialismus (oder was auch immer) bisher nicht funktioniert habe – dabei verleugnend, dass der Kapitalismus ebensowenig funktioniert. Immer sind es nur ein paar besondere Ego-Arschlöcher an der Spitze, welche vom System profitieren. Alle anderen schauen in die Röhre.

Kommen wir zurück zur KI. Die These lautet, dass KI die Klugen klüger und die Dummen dümmer machen würde. Ich persönlich halte das für riesigen Quatsch, weil Intelligenz noch niemals automatisch vor Abusus geschützt hat. Andernfalls gäbe es keine Alkoholiker mit Doktortitel. Was KI jedoch leistet, ist Folgendes: sie bietet Abkürzungen. Die Verlockungen eines leichteren Weges. Ganz gleich, ob es um Lernaufgaben oder die Arbeit geht, stellen KI-Anwendungen  vermeintlich effizienzsteigernde Shortcuts zur Verfügung. Aufgaben, die keinen Spaß machen, die wiederkehrende Routine sind, die Zeit brauchen, sollen von der KI erledigt werden. Doch bevor ich eine Routine auslagere, tue ich gut daran, diese Routine selbst zu beherrschen, um die oftmals nur vermeintlich effizienteren Ergebnisse meines LLMs beurteilen zu können. Andernfalls versende ich nämlich nicht selten die sachlich unrichtigen Halluzinationen der Maschine, die weder soziale, noch moralische, noch politisch-taktische Erwägungen kennt. Dieser Dünnschiss muss oft erst mühsam von einem echten Experten demaskiert werden. KI macht also nicht den Dummen Dümmer, sondern nur fauler… und den Klugen gleich mit. Denn der sirenen-süße Ruf der Arbeitsvermeidung lässt auch den 1,0-Abiturienten nicht kalt, wenn doch andere Dinge viel wichtiger sind. An dieser Stelle sei vielleicht noch erwähnt: in der, durch den KI-Einsatz gewonnenen Zeit wird mitnichten weiter in die Hände gespuckt zur Steigerung des Bruttosozialprodukt; viel wahrscheinlicher ist, dass die so gewonnene Zeit damit verbraten wird, anderen Lockrufen des weltweiten Desinformationsgewebes und seiner APP-solut wahnsinnigen Auswüchse zu folgen. Ach, was würden wir nur ohne Antisocial Media und dieses ganze nutzlose Produkt-Influencer-Geschmeiss tun… oh… vielleicht weniger konsumieren und mehr leben?

Denn all der Huzz and Buzz um KI folgt natürtlich der, weiter oben bereits angeklungenen kapitalistischen Verwertungslogik. Alles MUSS dem Effizienz-Paradigma unterworfen werden. “Die Arbeit muss schnell erledigt sein, bediene dich des Outsourcings und erziele so mehr Wertschöpfung – für deinen Arbeitgeber…!” “utere machina!” (Nutze die Maschine!) anstatt “sapere aude!” (Wage, dich deines Geistes zu bedienen!); mit dem Effekt, dass wir gleichzeitig auch der Fähigkeit zum kritischen Denken beraubt werden. Aber die ist für den Konsumkapitalismus auch eher hinderlich, unterbricht sie doch u.U. diesen wahnsinnigen Zyklus, von Geld, welches man nicht hat Dinge kaufen zu wollen, die man nicht wirklich braucht, um Menschen zu beeindrucken, die man nicht mal mag… Die ausufernde KI-Nutzung ist der direkte Weg auf die sehr bequeme Couch in der Komfortzone, Unterhaltungsprogramm mit Shoppingmöglichkeiten inklusive! Ob ich KI hasse, fragt ihr? Die Antwort lautet jedoch “Nein”. Denn KI-Anwendungen sind tatsächlich nützliche Werkzeuge. Allerdings lassen sich die allzu Bereitwilligen von der KI zu deren Werkzeug machen, anstatt zu lernen, wie man KI dort – und nur dort – wo es sinnvoll ist als Werkzeug zu nutzen und die Ergebnisse kritisch zu beobachten, und ggfs. zu korrigieren. Auf die Art gwinnen wir mittelfristig immer noch erheblich an Effizienz, verblöden dabei aber nicht. Und das wäre ja zumindest ein Effizienzerhalt. Ich wünsche daher allen – in mehr als einer Hinsicht – eine baldige Abkühlung.

Auch als Podcast…

Isses wichtich, richtich wichtich…

…ne, so richtich wichtich isses nich! (Danke Selig). was ich damit sagen will? Dass es mir viel zu oft, viel zu sehr, viel zu lange gegen den Strich geht, wenn irgendwelche Menschoiden meine Zeit verschwenden mit Dingen, die man entweder mit einem Dreizeiler, etwas mehr Selbstreflexion oder einem ernstgemeinten “Auf nimmer Wiedersehen!” hätte lösen können. Letzteres passiert sowieso viel zu selten, wenn ausgerechnet kognitions-benachteiligte Subsistenzen sich an Stühle, Pöstchen, oder Aufgaben krallen, bei denen ein einziger Blick genügt, um festzustellen, dass der Hut, den sie gerade zu tragen versuchen schlicht ein paar Nummern zu groß ist; und auch durch lautes Schwadronieren und Wichtigtuerei niemals so klein werden wird, dass er passt. Oder es ist schlicht ein waschechter Bullshitjob, für den man natürlich auch eine Bullshitperson braucht…! Aber eigentlich… eigentlich geht’s mir gut. Denn eigentlich sind dieser ganze Huzz and Buzz, dieses verzweifelt groteske Selbstmarketing, dieses “noch eine Aufgabe übernehmen zu müssen”, damit man ja nicht abgesägt werden kann, furchtbar traurig zu beobachten. Ich bin jetzt einmal so richtig arrogant: ICH weiß, wer ich bin! Ich weiß, was ich kann! Ich weiß, wieviel ich wert bin! Und ich scheue mich auch nicht mehr, diese Zahl aufzurufen – auch wenn ich immer noch davon überzeugt bin, dass man denn den Wert eines Menschen niemals in Euro/Monat beziffern könnte. Denn DAS tun nur völlig asoziale, inhumane, egozentrische Vollpfosten mit Leistungsträger-Profilneurose!

Man tut, wie ICH glaube, gut daran, ab und zu seine aktuellen Prioritäten zu hinterfragen. Es geht mir dabei gar nicht um narzisstische Nabelschau oder (als Gegenteil dazu) sadistische Selbstkasteiung, sondern vielmehr um die Frage, warum ich wie schnell in welche Richtung laufen sollte, wenn doch unklar ist, ob am Ende des Regenbogens tatsächlich ein Topf voll Gold auf mich wartet. Außerdem sitzt – zumindest bei meinem Glück – auf diesem Topf üblicherweise ein Leprechaun; und diese Wesen sind alles andere als nett. Und es geht dabei auch nicht um den Marktwert in Euro/Monat, sondern um die Frage, welche Werte, Normen, Ideale ich in mir trage und durch mein Tun verwirklicht sehen möchte – und ob ich tatsächlich noch auf DEM Pfad unterwegs bin? Oder nicht doch vielleicht schon vor einer ganzen Weile auf diese Autobahn in die Selbstausbeutungshölle abgebogen bin, weil ich, aus welchen Gründen auch immer, meine Werte, Normen, Ideale für X Euro/Monat mehr verkauft habe. “Wes brot ich ess, des Lied ich sing,” ist nicht umsonst ein geflügeltes Wort. Well, seems, like Captain Obvious is at work here, ain’t he? Ja, mag sein. Aber nur weil etwas in der Theorie für alle deutlich erkennbar im Raum steht, bedeutet das noch lange nicht, dass die Menschen daraus auch die richtigen Schlüsse ziehen und eventuell sogar richtig handeln. Andernfalls hätten wir kein massives Fascho-Problem in diesem Land…

Was ist also wichtig? Kann ja im Grunde nur jeder für sich selbst bestimmen, oder? Falsch, Nachbar – au contraire! Es gibt einige Dinge, die sind IMMER, ÜBERALL und unter ALLEN DENKBAREN Umständen wichtig: Menschenrechte! Umwelt- und Klimaschutz! Humanität! Solidarität! Sie werden jedoch im Namen des Kapitalertrags kleingeredet. Die Wirtschaft muss brummen, egal, wie viel schneller wir dadurch auf die letzte Wand zurasen! Hauptsache, es liegt währenddessen ein (hoffentlich billig zu erwerbendes) Steak auf dem Grill, während man mit wohlwollenden Augen über den glänzend in der Auffahrt stehenden Bonzenschlitten streift, um dann auf dem allerneuesten Smartphone Memes anzuschauen, die sich über Armut, marginalisierte Gesellschaftsgruppen, die Linksgrünversifften und überhaupt alle Anderen verächtlich lustig machen, die es wagen, die Frage zu stellen, ob das alles wirklich durch eigene Leistung erworben wurde, oder nicht doch eher durch das Glück, zufällig in einem Job zu arbeiten, der zwar wenig zum Erhalt unserer Spezies und ihrer Kultur beiträgt, aber halt nutzloses FIAT-Geld erzeugt… Ob ich Anti-Kapitalist bin? Auf die eine oder andere Art und Weise schon. Und warum, dass habe ich hier schon oft genug begründet. Aber wir stehen immer noch vor der Frage, was wichtig ist…? Ich würde es so beantworten wollen: wichtig ist die Fähigkeit zu besitzen, die Begrenztheit der eigenen Wichtigkeit erkennen zu können! Die Richtigkeit der eigenen Meinungen überdenken zu können! Die Notwendigkeit zu verstehen, auch mit weniger auskommen zu können! Und schließlich, verstehen zu können, dass die eigenen Rechte und Ansprüche die anderer Menschen nicht unzulässig zu begrenzen haben. Es könnte so einfach sein…

Der eben formulierte Anspruch ist nicht niedrig, dessen bin ich mir wohl bewusst. Wenn man versucht, diesem Standard in seinem eigenen Leben gerecht zu werden, wird man immer wieder in die Situation kommen, dass die Selbstzweifel SO stark werden, dass sie die Grundfesten der eigenen Identität zu erschüttern beginnen. Aus dem Grund habe ich diese Box, die oben im Bild zu sehen ist. Sie ist mein Journaling-Instrument, dass mich durch seine bloße Anwesenheit am Schreibtisch dazu zwingt, über mein Tun und Lassen nachzudenken und eben nicht nur die FAILs, sondern auch die WINs zu dokumentieren! Ausgeräumt und gelesen wird es am Ende des Jahres, wenn alle Pflichten für eine kurze Weile von einem abfallen und es Zeit ist für Retro- und Introspektion. Die Zettel vom letzten Jahr haben über letztes Sylvester meine Verzagtheit durchaus zu dämpfen vermocht. Wie ihr da draußen damit umgehen wollt, weiß ich nicht; ich bin mir ja nicht mal sicher, DASS ihr überhaupt damit umgehen wollt, wenn Ignoranz und Indolenz das Leben doch so viel einfacher verdaulich machen. Wie auch immer – schönen Vatertag.

Auch als Podcast…