Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, zumindest wenn Betrachter und Schöpfer „die gleiche Sprache sprechen“. Das mit der Sprache ist allerdings so’ne Sache. Bildsprache ist genau wie jede andere Form von Kommunikation eine Angelegenheit, die einen gemeinsamen Zeichensatz, also einen Code voraussetzt, den alle Beteiligten kennen müssen, damit einander Verstehen gelingen kann. Die Kunst der Bildgestaltung beinhaltet also wesentlich mehr, als Blende, Belichtung, ISO, etc. einstellen zu können. Ein Objekt, oder auch eine Person so dazustellen, dass die Darstellung einen Sinn enthält, der über das bloß Gezeigte hinausgeht, also einen für möglichst viele andere erfahrbaren Bedeutungsüberschuss zu erzeugen, ist die wahre Kunst; zumindest in meiner Lesart.
Nun ist ein gemeinsamer Code, welcher die Interpretation dieser Bedeutung erlaubt ausdrücklich KEINE Frage von Bildung! Es geht einfach nur darum, die gleiche Sprache zu sprechen. Ob es dabei um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Jugend- oder Subkultur geht, oder die, weitesten teils rein enzyklopädische Wissensbasis des Bildungsbürgertums, welches sich – meines Erachtens zu Unrecht – als Spitze kulturellen Schaltens und Waltens versteht, ist vollkommen unerheblich; man muss lediglich Zeichen auf einer gemeinsamen Interpretationsbasis erkennen und nutzen können. Und auch abseits der Domänen klassischer humanistischer Bildung ist hierzu unter Umständen eine erhebliche kognitive Leistung von Nöten.
Gerade die sozialen Medien im Internet erzeugen heute mit teilweise rasender Geschwindigkeit eine Fülle neuer Formen, deren Decodierung für den nicht initiierten Betrachter oftmals nicht, oder nur teilweise möglich ist. Bedauerlicherweise kann dieser Umstand auch als eine Art Chiffre für diejenigen herhalten, die auf dem digitalen Weg fragwürdige oder auch illegale Botschaften verbreiten wollen. Schnell zu lernen, was hier genau übermittelt wird, erfordert dabei sowohl von den Strafverfolgern als auch von jedem, der verantwortungsbewusst mit dem Medium Internet umgehen können will einen aktiven Lernprozess und auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Subtexten zeitgenössischer Bildsprache. Menschen, die ihre Botschaften im oberflächlich Harmlosen verpacken, können den unbedarften Nutzer nämlich schnell in einen Dialog verwickeln, dem zumindest junge, wenig gefestigte Menschen nicht gewachsen sind. Dies ist einer der Prozesse, die zur Radikalisierung durch das Internet führen. Die Ästhetik des Djihad wirkt dabei zunächst eher unverfänglich, exotisch, verwirrend, aber auch verheißungsvoll und zieht so die leider allzu häufig eher wenig reflektierten Konsumenten unter Umständen schnell in ihren Bann.
Den Umgang mit Bildsprachen zu vermitteln ist somit ein, auch aus aufklärerischer Sicht notwendiger Teil von Bildung, der absolut nichts mit der Anhäufung enzyklopädischen Wissens zu tun hat, sondern vielmehr mit der Vermittlung der Fähigkeit sowohl klassische als auch zeitgenössische Bilder decodieren zu können. Kein einfaches, wohl aber ein lohnendes Unterfangen, nicht nur aus künstlerisch-ästhetischer Sicht, sondern auch aus pädagogischer und kultureller. Denn wenn man Kultur als einen Prozess begreift, also etwas, das in Bewegung ist, dann sind alle Ausdrücke von Kultur – darunter auch das, was wir Kunst nennen – auch im natürlichen Wandel begriffen. Akzeptiert man diese Sichtweise, muss man sich immer wieder auf neue Wahrnehmungen einlassen, auf neue Interpretationen und Ausdrucksformen.
Für mich ergibt sich daraus eine spannende Ambivalenz: zum einen spricht es den Lehrer in mir an, up to date zu bleiben, selbst neue Formensprachen rasch und präzise interpretieren zu erlernen, um adäquat darauf reagieren zu können. Auf der anderen Seite steht meine Kreativität zur Disposition; auch sie muss sich weiter entwickeln, denn sonst werde ich mir selbst langweilig. Und meinen Lesern wahrscheinlich auch. Also immer schön weiter lernen, nicht nur um diejenigen erkennen zu können, die das Internet für sinistere Zwecke ausnutzen, sondern auch, weil vieles Neue spannend ist und einen auf mehr als eine Art weiter bringen kann.