Rollenspiel für Dummies #1

Ich weiß nicht, ob ich dieses furchtbare Geständnis im Kontext meiner Podcast-Reihe schon mal gemacht habe, aber um allen Zweifeln entgegenzutreten und es hiermit offiziell zu bekräftigen: Ich bin Fantasy-Rollenspieler; Unterkategorie Pen & Paper, das heißt ich bin einer von diesen komischen Typen, die zusammen mit anderen Nerds umgeben von Colaflaschen, Chipstüten, seltsamen Bücher, Schreibzeug und Würfeln am Couchtisch sitzen und wirre Geschichten erzählen, bei denen anscheinend irgendwie alle Anwesenden auf seltsame Art teilnehmen können. Yeehaa!

Da schon Tausendundein Spacko versucht haben, zu erklären, wie so was vonstatten geht – und ganz im Vertrauen, die Allermeisten sind dabei kläglich gescheitert, weil sie es entweder zu simpel oder zu kompliziert aufgezogen haben – werde ich mich nicht mit der Unnötigkeit aufhalten, hier jetzt von improvisiertem Laientheater ohne Kostüme anzufangen, sondern euch einfach mit dem Faktum konfrontieren, das ich meistens als SL, also Spielleiter fungiere.

Bei Spiel-LEITER könnte das Missverständnis entstehen, dass ich die Spieler tatsächlich dazu anleite, wie sie ihre Charaktere zu spielen haben. Ja sicher; und Atze Schröder ist ein Frauenversteher! Ne, ne, das mit dem Leiten hat eher was mit Wegweisern zu tun, doch dazu komme ich gleich. Das Konzept einer virtuellen Persönlichkeit ist übrigens, wie ich denke jedem klar, der schon mal einen Film gesehen hat. Russel Crowe IST nicht Robin Hood, er tut nur so; er spielt eine Rolle. Wir haben zwar beim Pen & Paper am Spieltisch in der Regel keine Kostüme an, aber sich in eine andere Person hineinzuversetzen, wie es ein Schauspieler tut und dann so zu handeln wie man denkt, dass es diese Person tun würde ist beim Schau- wie beim Rollenspieler ähnlich. Stärkster Unterschied ist wahrscheinlich, dass der Spieler von niemandem vorgeschrieben bekommt, wen oder was er zu spielen hat, sondern dass er sich diese Figur selbst ausdenkt und mit der dazugehörigen, ihm genehmen Persönlichkeit ausstattet. Et voilá – ein neuer Charakter ist geboren! Insofern gestaltet jeder Spieler also von Anfang an das Drehbuch der Geschichte mit.

Der Spielleiter hingegen ist eine Mischung aus Regisseur, Drehbuchautor, Märchenonkel und Improvisations-Happening-Künstler. Ich denke mir eine Story aus, in der sich die Charaktere – also die Spielfiguren der anderen Mitspieler – zurechtfinden müssen, indem sie mit dieser Welt und den anderen Figuren darin interagieren. Diese anderen Figuren sind zum einen die Charaktere ihrer Mitspieler und die so genannten Nichtspielercharaktere oder auch NSCs; Figuren, die ich in meine Story eingebaut habe, um den Spielern Interaktionspunkte bieten zu können. Ist, als wenn man bei einem beliebigen Computerspiel zu dem Männchen mit dem Ausrufezeichen hingeht. Es sei zu diesem Zeitpunkt allerdings darauf hingewiesen, dass soziale Interaktion am Spieltisch genauso abläuft, als wenn sie in einer realen Situation stattfände; will heißen, man unterhält sich eben miteinander, auch wenn man dabei eine andere Figur spielt. Also spielen alle ihre Rollen und daher kommt der Name…

Ist ja doch ganz einfach zu erklären. Was den Reiz daran ausmacht, sich in der vorhin beschriebenen Umgebung hinzusetzen und sich einfach nur miteinander zu unterhalten lässt sich vielleicht am ehesten durch die Frage erklären, was der werte Zuhörer selbst denn am liebsten als eskapistische Tätigkeit ausübt: vielleicht Fernsehen, Musik hören, ein Buch lesen, ohne Not nur mit einem Nylonstoffbündel auf dem Rücken aus einem intakten Flugzeug springen, oder was weiß ich, was den Menschen fürderhin noch alles einfallen wird, um sich die Zeit zu vertreiben? Man könnte sagen, es ist ein willentliches Eintauchen in eine mehr oder weniger unbekannte Welt, in der man einfach mal jemand anderes sein kann als hier im wahren Leben. Mehr muss man dazu nicht sagen, denn wie schon erwähnt hat jeder seine eigene Methode, um mal dem Alltag zu entfliehen. Beim Fantasy-Rollenspiel setzen sich halt ein paar Leute um einen Tisch und erzählen zusammen und füreinander hoffentlich recht spannende Geschichten. Oha, und eben wird’s, falls sie aufgepasst haben doch plötzlich ein wenig komplizierter:

Der Spielleiter hat doch seine Geschichte zum Erzählen vorbereitet, wie kann es dann sein, dass sie von allen zusammen erzählt wird? Ganz einfach; jedes Mal wenn ein Spielercharakter mit seiner Umgebung interagiert, Informationen beschafft, dann Entscheidungen trifft und Dinge tut, kann er den Lauf der Geschichte beeinflussen. Bestimmte Einflussnahmen hat man als Spielleiter natürlich von Anfang an auf seiner Agenda, denn schließlich soll der örtliche Crimelord ja NICHT mit seinen Drogengeschäften und sonstigen üblen Machenschaften davonkommen, also versucht man, die Spieler dazu zu animieren, dass ihre Charakter alles tun, um ein übles Verbrechen zu verhindern. Doch auf welche Art sie das tun, was dabei sonst noch so an Dingen geschieht und wen bzw. was sie dabei alles für sich nutzbar zu machen wissen, das ist unmöglich vorherzusagen, wenn man seine Spieler nicht am Gängelband halten möchte. Und dieser Satz führt mich gleich noch ein bisschen weiter, denn es gibt natürlich verschiedene Stile, wie ein Spielleiter seine Gruppe durch ein Szenario führen kann.

Zu diesem Zeitpunkt sei angemerkt, dass ich über mich und meine ganz persönlichen Erfahrungen mit der zur Diskussion stehenden Materie berichte. Nix von dem Quark, welchen ich mal wieder zu verzapfen die Frechheit besitze hat eine in Stein gemeißelte Gültigkeit für irgendjemand anders außer mir… na ja, obwohl … vielleicht für meine Spieler. Aber das müsst ihr die schon selber fragen.

Im Grunde genommen lassen sich die Stile, welche Spielleiter benutzen auf die klassischen Modelle von Führungsstilen zurückführen und von denen gibt es drei: den autoritativ-hierarchischen, den demokratisch-kooperativen und den laissez-faire-Stil. Wer genau wissen will, was das bedeutet, kann’s gerne googeln, es gibt auch eine prima Wiki-Seite dazu. Ich persönlich habe es gerne, wenn meine Spieler explorieren, was ich mir für sie ausgedacht habe und weil ich es selten bei kleinen Geschichten belassen kann, benutze ich eine Mischung aus demokratisch-kooperativ und laissez-faire. Das bedeutet, dass ich eine sehr große Spielfläche entworfen habe, in der sich die Gruppe mehr oder weniger frei bewegen kann. Selbstverständlich gebe ich Zeichen, locke und manipuliere in der Hoffnung, dass sie bestimmte Wege benutzen, aber ich kann es nicht vorhersehen oder erzwingen, auf welche Plothooks sich meine Spieler als erstes stürzen. Plothooks sind Hinweise bzw. Aktionspunkte, an denen sich die Spieler Informationen, Verbündete oder materielle Ressourcen verdienen können, wenn sie’s richtig anstellen, wobei es für richtig immer mehr als einen Weg gibt. Das alles klingt bestimmt sehr theoretisch, also gebe ich ein Beispiel, wofür ich eine kleine Geschichte erzählen muss:

Ein recht großer Stadtstaat auf einer Insel war der Ort, an dem eine meiner Storylines begann. Es gab einen Barden – dies ist ein Hinweis, dass es sich dabei um ein High-Fantasy-Szenario handelt – im Übrigen ein Spielercharakter, dessen Lehrmeister unter undurchsichtigen Umständen verschwunden war. Er traf einen weiteren Spielercharakter, nämlich eine Magierin, die ihre Profession geheim halten musste, weil derlei Tun an diesem Ort nicht wohlgelitten war. Sie verbündeten sich und auf der Suche nach dem Meister deckten sie scheinbar durch Zufall nach und nach auf, dass der Stadt Gefahr durch ein Invasionsheer drohte, welches aus jenem Mutterland ausgesandt worden war, von welchem sich der Stadtstaat vor einiger Zeit als Kolonie losgesagt und für unabhängig erklärt hatte. Motive aus der Geschichte unserer Welt, die einem bei diesen Worten bekannt vorkommen waren durchaus beabsichtigt. Um der Angelegenheit noch ein wenig Würze zu verleihen gab es anscheinend einige Bürger der Stadt, denen man im Falle eines schnellen Erfolges des Feldzuges profitable Posten und noch weitere Belohnungen versprochen hatte, wenn sie durch Schmuggel, Sabotage und verschiedene weitere Vorbereitungen den Invasoren sozusagen die Hintertür aufschließen würden. Zwischenzeitlich trafen meine zwei ersten Protagonisten noch weitere Mitstreiter, nämlich eine Heilerin sowie einen jungen Mann von edlem Blut aber leerem Geldbeutel, der sich Ruhm, Ehre und seinen Ritterschlag zu erarbeiten suchte.

Zusammen hatten sie sich einige Puzzleteile erarbeitet, die auf bestimmte Personen hinwiesen, wussten bescheid über verschiedene politische Verstrickungen und hatten eine Vorstellung was passieren würde, wenn die Feinde der Stadt mit ihren Plänen Erfolg hätten. Und was nun? Jemanden finden, dem man das alles mitteilen kann? Und wie diese Person, die ja von gewissem Rang hätte sein müssen um etwas bewirken zu können davon überzeugen, dass einer der angesehensten Patrizier der Stadt ein Verräter war und das gefährliche Kräfte am Werke wären, welche alle Bemühungen, die Stadt zu verteidigen mühelos hätten zunichte machen können. Oder einfach zu fliehen versuchen? Aber wohin, so groß war die Insel nun auch wieder nicht und eine Seeblockade griff schon. Sich vielleicht womöglich auf die Seite des Feindes schlagen und versuchen, so ein veritables Stück vom Kuchen einzuheimsen?

All diese und noch mehr Möglichkeiten hätten meinen Spielern zu Gebote gestanden doch sie entschlossen sich, die Verteidiger mit mehr als einer Hasardeursaktion zu unterstützen und konnten schließlich – wenn auch unter Verlusten und für eine Menge Lehrgeld – den Feinden einen Sieg zu ihren Bedingungen abtrotzen. Und ich kann sagen, würde ich mit einer anderen Spielergruppe das gleiche Szenario noch mal spielen würde es für mich nicht langweilig werden, weil andere Leute andere Ideen haben und verschiedene Probleme auf ganz andere Weise lösen würden. Und wer weiß; vielleicht schlügen sich ja diese zur Abwechslung auf die Seite der Invasoren. Ein Spielleiter bewertet nämlich nicht, ob die Handlungen der Charaktere seiner Spieler moralisch vertretbar sind oder nicht. Wenn jemand mit seiner Spielfigur etwas beschreibt, das sein Charakter, so wie er mir anfangs geschildert wurde wahrscheinlich nie tun würde – etwa ein junger, rechtschaffener Ritter, der plötzlich anfängt, hinterrücks zu meucheln – würde ich mal nachfragen, ob er den denkt, das sein Charakter das für sinnvoll hält, aber wenn darauf insistiert wird, lasse ich das so stehen, denn ich erzähle hier nur eine Geschichte. Wichtig dabei ist mir, dass die vom Spieler vordefinierte Rolle durch die Handlungen der Figur auch so ausgefüllt wird, wie man sie mir beschrieben hatte, denn für mich als Meister sind die Persönlichkeiten der einzelnen virtuellen Wesen wichtig, weil ich aus den Beschreibungen entnehme, womit ich bestimmte Charaktere motivieren kann, meiner Geschichte auch länger zu folgen. Denn nur wenn sie das freiwillig tun, haben auch alle Spaß dabei!

Im vorliegenden Beispiel hatten wir eine Menge Spaß und zwischenzeitlich sind noch mal zwei weitere Spieler mit anderen Charakteren dazu gestoßen, die sich mittlerweile durch ein noch viel größeres und komplexeres Szenario wühlen. Man muss für so was übrigens viel Zeit mitbringen. Wir spielen im Schnitt ein bis zweimal im Monat 8 bis 10 Stunden am Stück, manchmal auch länger oder öfter und das seit Beginn des eben beschriebenen Szenarios seit mehr als drei Jahren! Ich denke, dass ich mittlerweile so um die 65 – 70 Spielsitzungen nur in diese eine Geschichte investiert habe. Und ab und an auch noch mal 15 – 20 in eine andere Story mit einem vollkommen anderen Hintergrund, einer vollkommen anderen Welt und übrigens auch einem vollkommen anderen Spielsystem. Und dabei blieb es nicht. Was ich damit sagen will ist Folgendes: es ist ein Hobby, das mich auch nach mittlerweile weit über 20 Jahren noch fasziniert wie Bolle, das mich immer wieder inspiriert und hervorragend unterhält. Und wenn mich jemand wegen dem Zeitbedarf schräg anglotzt kann ich nur fragen: UND, was machst du so in deiner Freizeit.

Und das Beste an diesem Podcast ist für mich DAS: wer sich nicht damit auskennt, fragt sich jetzt, was ich mit anderen Spielsystemen meine. Und wisst ihr was: das erkläre ich euch vielleicht beim nächsten Mal. Oder vielleicht auch erst einen anderen Aspekt. Bis dahin alles Gute und viel Spaß bei was auch immer IHR gern tut. Mein Gruß lautet: Always game on!

 

Ein paar Gedanken über Integration…

Im Rahmen meines neben der Arbeit betriebenen Fernstudiums der Bildungswissenschaft musste ich mich verschiedener Sachverhalte bzw. des Verständnisses darum nochmal vergewissern und schrieb also einfach einen Essay zum Thema „Integration“. Zu finden ist er hier:

Essay Integration

Was ändern. Aber wie?

Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern, wie oft ich schon von so vielen verschiedenen Menschen gehört habe, dass man ja was ändern müsste, aber das man keine Ahnung hätte, wie sowas von Statten gehen soll. „Was ändern“; das klingt ein bisschen wie der universelle Schlachtruf des stereotypen Wutbürgers, der im Angesicht gefühlter institutioneller Ungerechtigkeit zur Tat schreiten wird, egal was da kommen möge.

Tatsächlich ist es aber in der Realität selten mehr als eine sinnentleerte Worthülse, denn zum einen ist das Stereotyp des Wutbürgers selbst nicht mehr als ein Substanzloses Idol, weil mitnichten alle am gleichen Strang ziehen. Wer die medial bestens dokumentierte Schlacht um Stuttgart 21 einigermaßen aufmerksam verfolgt hat, erkennt genau, wovon ich gerade spreche. Woraus sich das zum anderen ergibt, nämlich der sich in immer drolligerer Art entladende Culture clash der im wutbürgerlichen Lager anzutreffenden Partikularinteressen, welche das initiale „DAGEGEN“-Gefühl lediglich auf Zeit zu einen vermag. Grün mag das neue Schwarz sein, aber Kehrwoche bleibt Kehrwoche und damit kommt der Autonome nicht unbedingt klar.

Sicherlich entwerten diese Beobachtungen den Trend zur Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Rechte im Sinne zivilen Ungehorsams nicht vollkommen – die diesbezügliche Staats- bzw. Verfassungsrechtliche Debatte kenne ich und votiere hiermit ausdrücklich für die Anerkennung des Rechtes zum zivilen Ungehorsam – Aber sie lassen zumindest in mir die Frage aufkeimen, ob’s denn wohl möglich ist, sich erst einmal Gedanken darüber zu machen, WAS man denn nun tatsächlich aus WELCHEN Motiven heraus geändert sehen wollen würde, welche Alternativen es zum Status Quo überhaupt geben könnte, welche Folgen eine Änderung nicht nur für einen selbst sondern auch für Andere hätte und schlussendlich, wie weit man selbst zu gehen bereit wäre, um eine solche Änderung voran bringen zu können.

Und da wird’s dann oft ganz schnell finster…

Ich bringe der kritischen Hinterfragung der Legitimation dieser oder jener politischen Entscheidung durchaus Sympathie entgegen und auch ich sehe in einigen gesellschaftlichen Bereichen dringenden Handlungsbedarf. Mein Problem ist nur, das es mir zumeist um Dinge geht, die man nicht auf den ersten Blick sehen kann – wie etwa gefällte Bäume oder eine Abrissbirne an einem Bahnhofsgebäude – sondern eher um Fragen der sozialen Integration, oder besser des Mangels daran und um die systemische Reformbedürftigkeit unseres Gesundheitswesens. Dinge, für die Menschen auf die Straße zu bringen immer nur dann klappt, wenn deren eigene pekuniären Interessen irgendwie tangiert werden.

An dieser Stelle sei gesagt, dass ich nicht allen Teilnehmern an den Protesten rings um Stuttgart 21 jetzt unterstelle, dass sie nur wegen der Wertentwicklung ihrer Stadt da waren, aber ich habe – vor allem beruflich – schon zuviele Menschen kennen gelernt, um noch uneingeschränkt glauben zu können, dass Altruismus in höheren Konzentrationen als den homöopathischen vorkommt. Dessenungeachtet finde ich selbst das Projekt hinsichtlich der Blauäugigkeit von Politik und Wirtschaft hanebüchen, aber das soll nicht Gegenstand dieses Textes sein.

Was aber im Fokus meiner Betrachtungen liegt – es sei nochmal erwähnt für jene, welche diese Zeilen bislang vielleicht nicht allzu aufmerksam überfogen haben – ist mein Ärger darüber, dass obschon halbgarer „Wir müssen was ändern!“-Populismus niemanden an irgendein Ziel bringen wird, egal wie nah oder fern es auch sein mag, die Leute – wenn überhaupt – aus dem falsch verstandenem Bedürfniss heraus „mal irgendwas Gutes tun“ zu müssen dem erstbesten Hurrarufenden Idioten mit einer Agenda hinterher rennen, dessen ihre Äuglein und Öhrchen habhaft werden. Erinnert ein bisschen an die Weimarer Republik der 30er des 20. Jahrhunderts, n`est-ce pas?

In solchen Szenarien ist die Energie, welche der eine oder die Andere aufzubringen vermag, um DER SACHE dienlich sein zu können oftmals überraschend, vor allem wenn man es mit der sonstigen Vitalität der Wortäußerungen und Taten vorgenannter Individuen vergleichen möchte. Es wirkt fast so, als wenn der Aktionismus in uns allen nur ein Stichwort braucht, um mal so richtig abzugehen. Was mich daran fasziniert ist allerdings eher der Umstand, dass dieser Aktionismus, diese unbändige Energie in alles mögliche fließt, nur nicht unbedingt in das Vertreten politischer oder gesellschaftlicher Anliegen, die auch tatsächlich vertretenswert wären.

Man könnte nun einwenden, dass in einer Demokratie ja schon jeder selber entscheiden darf, was für ihn oder sie wichtig und richtig ist und ich bin wahrlich der Letzte, der die Rechte auf Meinungsäußerung und Selbstentfaltung einschränken möchte, es wäre mir allerdings daran gelegen, mal wieder an Kant zu erinnern; um genau zu sein an den kategorischen Imperativ. Für diejenigen, die’s mit Philosophie nicht so haben (und das dürften wohl die Meisten sein) subsummiere ich das mal mit zwei Sprichworten: „Was du nicht willst, das man dir tut, da füg auch keinem Andren zu.“, oder „Die Freiheit des Einen endet da, wo die des Anderen beginnt.“.

Aus vielen Einzelfreiheiten einen Weg zu destillieren, der für alle gemeinsam gangbar ist, stellt zugleich das Recht aber auch die Pflicht der Demokratie dar und in einem Zeitalter der Beliebigkeit, wie unsere Zeit gerne gelegentlich genannt wird, fällt das um so schwerer. Aber genau deswegen muss man, wenn man mal wieder dabei ist, dem Credo „was ändern zu müssen“ anheim zu fallen sehr genau darauf achten, das Veränderung zuerst immer bei einem selbst beginnt. Mit Mahatma Ghandis Worten, die heute kein Jota weniger aktuell sind als damals heißt das: „Sei du selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst.“ Recht verstanden bedeutet dies, zunächst sich selbst zu reflektieren und gegebenenfalls – nein besser höchstwahrscheinlich – zu ändern, bevor man beginnt, Wandel von Anderen zu fordern. Ein gutes Beispiel wird man nämlich nur, wenn einem „gut gedacht“ auch ein „gut gemacht“ folgt…

Occupy – my mind?

Ich las vor einiger Zeit in einer namhaften Wochenzeitschrift, dass der Autor eines Artikels, welcher sich mit der so genannten Occupy-Bewegung befasste zu dem Schluss kommt, dass diese wohl nicht allzu viel zur Veränderung der Geschichte bzw. des aus der Sicht von unten wenig zufrieden stellenden gegenwärtigen Zustandes unserer Welt beitragen können wird; aber dass er hofft, dass man sich in einiger Zeit noch dieser Menschen erinnern möge, die sich über die Umstände empört haben. Wer nicht weiß, worum es dabei geht, sollte einfach mal das Stichwort „occupy Wallstreet“ googeln… Doch zurück zum Thema, nämlich des Mangels an echten Möglichkeiten zur Einflussnahme, welchen der Schreiber anscheinend unterstellen möchte.

Bullshit! Empörung 1.x ist möglicherweise (noch) nicht reif genug, um Problemkomplexe mit echten Lösungen anzugehen, wohl kaum nachhaltig genug, um dennoch in diesem Milieu entstehende, gute Ideen auch in die Tat umsetzen zu können und gewiss nicht stark genug um jene ernsthaft herausfordern zu können, welche Macht in Händen halten; gleichgültig ob es sich dabei um politische oder pekuniäre Macht handelt, wobei das eine Zugang zum andern schafft und umgekehrt.

Nichtsdestotrotz machen diese wenngleich unbeholfenen so doch auf eine fröhlich anarchistische Weise charmanten Aktionen einerseits darauf aufmerksam, dass nicht nur im Staate Dänemark so einiges faul ist; andererseits vermitteln sie zumindest mir auch jenes Gefühl, dass das Gerechtigkeitsempfinden und die Sensibilität gegenüber der den verschiedenen Prozessen von Ausbeutung innewohnenden Verantwortungslosigkeit und Gier gewachsen sind; der Wunsch, selbst etwas gegen die plötzlich wahrgenommenen Probleme unternehmen zu wollen wächst nun, wenn auch in geringerem Maße mit. Und das unabhängig davon, ob die jeweils zu bekämpfenden Ausbeutungsprozesse die Natur oder den Menschen betreffen; beide Formen von Missbrauch gefährden unsere Zukunft gleichermaßen.

Natürlich ist das mit solchen Bewegungen so eine Sache – Anfangs ist es leicht Menschen zu begeistern, dafür zu gewinnen auf Kundgebungen und Demos zu gehen, Transparente mit markigen Parolen zu bemalen und auf der Straße ihren Unmut hinauszuschreien. Es ist der Wunsch nach Aktion, welcher in solchen Tagen Jung und Alt gleichermaßen auf die Straße treibt. Welche Motive die einzelnen Elemente einer solchen Bewegung in dem Moment in die gleiche Richtung treiben, bleibt allerdings oft unklar; denn eines ist sicher – so viele Menschen z.B. Stuttgart 21 anfangs auch auf die Straße getrieben haben mag, der gleichen Meinung waren die vielen involvierten Gruppierungen nur aus der reinen Gegnerschaft zu dem Mammutprojekt heraus noch lange nicht.

Aber lassen wir die Motive doch noch für einen Moment außen vor. Mit dem beinahe anarchistischen Aktionismus, wie man ihn im genannten Beispiel beobachten konnte, ist es nämlich wie mit einem Saufgelage – irgendwann graut der Morgen und mit dem Kater dämmert den Akteuren, dass sie vielleicht doch ein oder zwei Dinge falsch angegangen sind. Die Bloße Lust an der Revolte, der Wunsch, es „den Oberen“ – wer auch immer diese geheimnisvolle Gruppe von Individuen konstituieren mag – mal so richtig zu zeigen ist ein starker Treibstoff, doch wie bei einem Dragster-Rennen ist nach einem starken, berauschenden, aber auch sehr kurzen Ritt der Sprit alle, bzw. die Begeisterung lässt nach. Insbesondere dann, wenn alles Lauthals Rufen, Plakate schwingen und Sitzblockieren nichts zu helfen scheint, weil „die Oberen“ irgendwie immer mehr Ressourcen und den längeren Atem zu haben scheinen. Das frustriert, und wer sich entmutigen lässt, schmeißt den Bettel ebenso schnell hin, wie er oder sie ihn aufgenommen hat. Und schon ist der schöne Traum ausgeträumt.

Mit Träumen ist das überhaupt so eine Sache. Man sagt ja manchmal, Träume hätten Flügel, bzw. könnten einem Flügel verleihen. Wenn dem so ist, verstauben jede Menge Flügel ungenutzt am Boden, denn nur ein geringer Prozentsatz von uns traut sich je, auch nur ein bisschen abzuheben. Ganz zu schweigen von den wenigen Auserwählten, die so hoch fliegen, dass sie den Himmel berühren – oder nicht ganz so wolkig ausgedrückt für jedermann mehr oder weniger sichtbar ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen. Die Meisten Menschen haben zu solchen Wesen ein zwiegespaltenes Verhältnis, denn einerseits bewundert man solche „Überflieger“ für ihren Wagemut, ihr Können, die Inspiration, die sie anderen zu geben vermögen. Andererseits neidet man ihnen jedoch ihren Erfolg, sucht nach dem sprichwörtlichen Haar in der Suppe, delektiert sich an der Auswalzung ihrer, zweifellos in jedem Menschen oft genug im Überfluss vorhandenen Fehler und versucht schließlich, ihre Erfolge zu relativieren.

Es ist diese Sünde der Relativierung, welche mit zu den Kardinalsünden zählen sollte, denn anstatt sich an den guten Seiten solcher Mitmenschen, den Erfolgen, den notwendigen Wagnissen, die sie dafür eingehen mussten wenigstens ein Stück weit ein Beispiel zu nehmen, zerrt man in den Dreck, was gerade greifbar ist, um die eigene Feigheit, die Unzulänglichkeiten oder die Ideenlosigkeit zu kaschieren. Würde man das gleiche Maß an Energie, dass man dafür verschwendet, anderer Leute Licht in den Schatten zu zerren dafür aufwenden, dass eigene heller scheinen zu lassen, könnte unsere Welt ein viel schönerer Ort sein.

Zugegeben blumige Worte, aber ich möchte nun den Bezug zum Eingangs vorgestellten Thema herstellen: Es mag sein, dass eine Graswurzelbewegung wie „Occupy Wasweißichauchimmer“ in der Gesamtheit gesehen kurzfristig wenig bis gar nichts bewegt; was auch daran liegt, das politische Prozesse und die dazugehörenden Entscheidungsfindungen selten an einem Nachmittag stattfinden, geschweige denn in einer Woche, sondern eben Monate oder auch Jahre in Anspruch nehmen können. Zum andern wird Politik von Menschen gemacht, deren Vorstellung davon, was zum Funktionieren Beispielweise eine parlamentarischen Demokratie bundesrepublikanischen Zuschnitts notwendig ist mit ihrem Wachsen durch Institutionen entstanden ist. Institutionen wohnt die Notwendigkeit zumindest einer rudimentären Selbstverwaltung, – vulgo Bürokratie – inne und ein Ausflug in diese „inner Workings“, also das Binnenland des Parlamentarismus mit all seinen menschlichen Nickligkeiten, notwendigen Bündnissen und Abgrenzungen zwischen all jenen, die mit der Idee aufgebrochen waren, sich die Macht zu verschaffen, um ETWAS ändern zu können und schließlich mit Erlangen dieser Macht so Amtskompatibel geworden sind, dass ein Teil ihres Idealismus durch Ideologie ersetzt werden musste trägt ein nur schwer erträgliches Maß an Ernüchterung in sich.

Politik an sich, bzw. die Klasse der in ihr Tätigen ist wohl ein soziales Mikrosystem, in welchem sich die immanente Reproduktion von Sozialisationsmerkmalen recht gut beobachten lässt. Wenngleich Habitualisierung als Konzept hier wohl zu kurz greift, zeigt es doch, dass das Gros der politisch tätigen von bestimmten Verhaltensmustern und Ideologien geprägt wird und sich einer Art Kodex konform zu verhalten scheint. Das die ständige Beobachtung durch die Gesellschaft bzw. die Medien hieran keinesfalls völlig unschuldig ist, sollte hier allerdings nicht unerwähnt bleiben.

Gleichwohl ist ein solches System, wenn es auch in der Lage zu sein scheint, sich selbst einigermaßen gut zu erhalten dem Anschein nach wenig geeignet, herausragende Persönlichkeiten zu erzeugen, welche den herausragenden Problemen unserer Zeit gewachsen wären. Vielmehr produziert es in der Mehrzahl Stereotypen, deren größte Fähigkeit darin besteht, sich selbst an eine gewünschte Position zu lavieren, ohne jedoch das Werkzeug zu besitzen, diese auch Sinnhaft auszufüllen.

Um so bedauerlicher ist es nun, wenn ein Reporter, ein Mitglied des vierten Standes denkt, die Occupy Bewegung – oder auch andere Basisdemokratische Bewegungen unserer Zeit an sich – als unnötig oder irrelevant abstrafen zu müssen, wenn doch vielleicht gerade hier der Boden bereitet wird, die unkreative Uniformität zu überwinden, welche nach Jahrzehntelangem Verharren in mittlerweile durch die immer schneller fortschreitende Entwicklung der Welt überkommenen Strukturen die politische Klasse übermannt zu haben scheint.

Noch sind keine Lichtgestalten hervorgetreten, welche eine solche Hoffnung einzulösen in der Lage sein könnten, aber ihre Existenz von vornherein negieren zu wollen bedeutet, einem nicht unerheblichen Teil der Menschen, welche nicht bereit sind, eine die Kreativität und Individualität vernichtende Ochsentour durch die politischen Instanzen und Institutionen auf sich zu nehmen um ETWAS verändern zu können die Daseinsberechtigung abzusprechen. Niemand sollte sich dazu aufschwingen, die Legitimität derjenigen in Frage zu stellen, die auf demokratischer Basis bereit sind, gegen jene Strukturen anzutreten, die uns die heutige Krise eingebrockt haben und weder Willens noch in der Lage zu sein scheinen, sie effektiv zu bekämpfen. Die Meinung vieler einfach als Irrelevant zu relativieren könnte sich dann tatsächlich als Kardinalsünde erweisen, wenn Begeisterung in Wut umschlägt.

Wieder mal Vieles zu drüber Nachdenken, darum wünsche ich allen die Muse, dies auch Vorurteilsfrei zu tun. Bis zum nächsten Mal!

Mobilität – was ist das denn überhaupt?

Dieses Wort, dieser Begriff trägt so viel unterschiedliche Aspekte in sich, dass es allein schon schwierig ist, abseits der Etymologie zu klären, ob er überhaupt eine allgemeingültige Bedeutung haben kann. Die Herkunft ist einfach zu klären, daher bescheide ich mich mit einem Hinweis auf’s Lateinische und auf Google, denn mittels Suchmaschinen Gelehrsamkeit zu Heucheln, ist mir viel zu sehr zum Volkssport verkommen, als ich mich daran noch wesentlich beteiligen möchte.

Doch zurück zum Begriff. Vielleicht ist es einfacher, wenn man quasi einen Spiegel benutzt und sich dem Gegenteil von Mobilität zuwendet? Klingt nach einer schlauen Idee, doch wie das Leben so spielt, kommt schon die nächste wenig unkomplexe Frage daher, nämlich wie ich dieses Gegenteil definiere? Ist es einfach die Abwesenheit von Bewegung, oder doch das Fehlen der Möglichkeit von Bewegung, ist dieser Mangel auf einen Lebensaspekt beschränkt, oder ubiquitär – und ist ein subjektives Mobilitätsdefizit überhaupt ein objektives Defizit im wahrhaft negativen Sinne?

Ein kleiner semiotischer Exkurs. Beide Seiten einer geprägten Münze lassen bei verschiedenen Lichtverhältnissen und Betrachtungswinkeln je neue Muster erkennen, die optischer Verzerrung entspringen, den Werkzeugspuren des Schöpfers, dem Abstand zum Betrachtungsobjekt, oder sonst was, sind also abstrakt viel zu sehr in mannigfaltige Kontexte eingebunden, um eine schnelle, gültige Aussage über die Beschaffenheit geben zu können und in gewissem Sinne ist das ein passendes Bild, denn so wie Mobilität als angebliches Grundbedürfnis menschlichen Daseins, wie es in vielen Artikeln immer wieder postuliert wird bei näherem Hinsehen mindestens so viel Probleme wie Lösungen beinhaltet, welche zudem nur selten dychotomisch zueinander stehen, bilden auch die beiden Seiten der Münze einen Gegensatz, der nicht einfach aufgelöst werden kann. Auf der einen Seite steht das Bild, auf der anderen die Zahl und auch das ist ein schönes Analogon zum Leben, wo sich das Symbol und eine ihm beigegebene Ordnungszahl, die nur allzu oft einen pekuniären Wert bezeichnet sich in einem sinnentleerten Raum begegnen. Was macht zum Beispiel den Geldwert eines Kunstwerkes aus, wer legt ihn fest und warum wird er bezahlt. Auch das ist ein Aspekt von Mobilität, sowohl von sozialer – denn für den Künstler ist es vielleicht ein Aufstieg – als auch von Monetärer, denn hier wird Geld bewegt.

Dieser Symbolik folgend stellt sich Mobilität zuallererst als ein messbarer Wert dar, nämlich hinsichtlich ihrer ökonomischen Kosten/Nutzen-Relation. Und das vollkommen unabhängig davon, ob es sich nun um räumliche, soziale oder intellektuelle Mobilität handelt. Soziale Mobilität kostet – vor allem Investitionen in Bildung – wirft aber Profit ab: gesteigerten Sozialprestige, höheres Einkommen etc. Räumliche Mobilität erfordert ebenso finanziellen Einsatz – z.B. für ein Auto oder für die Zugfahrkarte – kann aber unter günstigen Umständen einen Benefit einbringen, z.B. durch eine besser dotierte Arbeitsstelle. Intellektuelle und soziale Mobilität sind durch den Begriff Bildung eng miteinander verknüpft, wenngleich objektive Kennzahlen hier deutlich schwieriger abzuleiten sind.

Wenn ich nun aber feststelle, dass Mobilität vielleicht doch weniger mit der angeblich dem menschlichen Genom imprägnierten Wanderlust korreliert, sondern eher mit der rein ökonomischen Verwertbarkeit meiner gemäß den obigen Betrachtungen sonst wie gelagerten Beweglichkeit – Stichworte Flexibilität, Pendeln, Entgrenzung der Arbeit – reduziere ich den Begriff dann nicht unrechtmäßigerweise auf mein gesellschaftlich erzwungenes Dasein als Homo Oeconomicus? Kann Mobilität nicht auch ein Wert an sich sein?

Selbstverständlich ist meine bisher in diesem Kontext dargelegte Betrachtungsweise äußerst lückenhaft, allein schon hinsichtlich des Umstandes, dass ich noch nicht einmal über die Mobilität von Wissen, oder die Globalisierung von Wertschöpfungsprozessen zu sprechen angefangen habe. Aber genau dann verstrickte ich mich in die Argumentationsketten, welche Mobilität auf ökonomische Faktoren zu reduzieren suchen.

Wenn man heute von Wissens- bzw. Informationsgesellschaft spricht, meint dies vermutlich, dass wir uns ökonomisch gesprochen von der Wertschöpfung durch tatsächliches Herstellen hin zur Wertschöpfung durch das Anbieten von Diensten und Informationen entwickeln. Das an sich ist noch kein großes Problem; es wird erst zu einem, wenn die Angelegenheit anfängt, Menschen den Job zu Kosten. Nämlich jene, denen es an Mobilität mangelt, an sozialer, intellektueller und auch an geographischer. Der Umstand, dass man sich in populären Diskussionen aber immer nur mit der einen Form von Mobilität befasst – ja genau, jene Form, für welche dieser gelbe Vierbuchstabenklub aus München sich zuständig fühlt – begrenzt das Denken über den Begriff.

Mobilität ist ein Wert an sich, aber er hat mehr Facetten, als man an der Tankstelle diskutieren muss. Vielleicht fängt der eine oder andere ja mal an, sich Gedanken dazu zu machen, meine waren jetzt lediglich ein Kratzen an der Oberfläche der Materie. In diesem Sinne viel Spaß beim selber denken.

Divergenz!

Das ist ein schönes Wort. Ich persönlich mag Fremdworte, weil ich der Meinung bin, dass sie unsere Sprache bzw. deren Variantengehalt bereichern. Und sich verschiedener Begriffe bedienen zu können, um einen Sachverhalt, ein Ding oder auch eine Idee zu beschreiben verleiht der Sprache mehr Bildhaftigkeit, mehr Charakter, mehr Wucht. Sprache ist ein Instrument, das man auf mannigfaltige Art und vor allem mit unterschiedlicher Stärke gebrauchen kann. Zwischen Skalpell und Abrissbirne ist da für jeden was dabei.

Ein Bagger mit dem vorgenannten Werkzeug ist nun für seine chirurgische Präzision ungefähr so berüchtigt, wie die amerikanischen Lenkwaffenangriffe während verschiedener militärischer Operationen im Nahen Osten. Er wäre für mich eher selten die erste Wahl wenn es um verbale oder schriftliche Kommunikation geht, wenngleich ein deftiger Ausflug in die volkstümlich frontalen Gefilde der Gesprächskultur durchaus dann und wann indiziert sein kann – und wenn es nur dazu verhilft, mich danach besser zu fühlen. Immerhin bin ich Rechtschutz versichert…

Aber eigentlich fühle ich mich eher auf dem durchaus etwas zerklüfteteren Terrain der pointierten Hochsprache wohl, wo man sich seine Taktik selbst formen kann und nicht darauf angewiesen ist, ohne ausreichende Deckung oder Reserven blindlings in den Nahkampf zu stürzen. Die Fallen, in welche man hier geraten kann sind gewiss subtilerer, wenn auch keinesfalls ungefährlicherer Natur. Aber es macht einfach mehr Spaß um Kohärenz zwischen Gedanke und Ausdruck zu ringen, denn schließlich versucht man ja, etwas zum Zuhörer bzw. Leser zu transportieren: ein Bild, eine Idee, was auch immer. Und bekanntermaßen können zwischen DEM was ich sagen wollte und DEM, was der Rezipient meint, verstanden zu haben Welten liegen. Häufig nur ganz kleine Welten, aber immerhin…

Ich schweife ab, was mir zwar Spaß macht, aber der Sache nicht immer dienlich sein mag, über die ich eigentlich zu sprechen die Stirne haben mochte. Ich sagte zu Beginn dieser Ausschweifung ein Wort: Divergenz! Aber auch, wenn’s jetzt schwer zu glauben ist; genau davon habe ich eben gesprochen: Abweichungen. Bei der Kommunikation zwischen Menschen, selbst wenn sie vermeintlich die gleiche Sprache sprechen – in unserem Falle wäre das wohl Deutsch, genauer gesagt in meinem Fall Hochdeutsch, obschon ich dem Dialektalen Duktus durchaus nicht abhold bin, wenn’d verstääscht, wie isch mään – kommt es immer wieder beinahe unvermeidlich zu Divergenzen. Man könnte diese als natürliche Reibungsverluste abtun, aber die Auswirkungen sind gelegentlich sehr interessant.

Es beginnt damit, dass die Prämissen, also die Grundannahmen, auf denen jeder verbale Austausch fußt sehr unterschiedlich aussehen können. Nehmen wir als Beispiel folgende Situation: Ich unterhalte mich mit einem Kollegen meines Berufsstandes über die letzte Schicht und dabei fällt der Satz: „…und dann haben doch tatsächlich zwei Leichen rumgedreht…“! Lassen sie die Worte wirken, erinnern sie sich an die Tatsache, dass ich im Rettungsdienst arbeite und in meinem bald 18 Dienstjahren vermutlich schon fünfzig Mal oder mehr Tote gesehen und angefasst habe, als andere Menschen in ihrem ganzen Leben live zu Gesicht bekommen. Für mich ist das normal. Aber was denkt derjenige, der diese Konversation nebenbei mitbekommt? Hält er mich für Pietätlos, für unglaublich abgebrüht, oder gar für einen Mörder? Hat er eine Vorstellung davon, wie sich so was anfühlt? Ich weiß es nicht, aber ganz sicher würde er eine Menge anderer Floskeln ebenso wenig verstehen oder einordnen können. Im Gegenzug fehlt mir sicher der Einblick in die Erfahrungswelt eines Automechanikers, was die Kommunikation unter bestimmten Umständen gewiss auch erschweren kann. Und wie gesagt – wir sprechen alle mehr oder weniger Deutsch.

Und was ist mit Ausländern?

Oh je, bevor es gleich losgeht – nein, ich schwinge jetzt keine Xenophobie-Keule und bin auch kein Nazi. Ich fragte mich nur gerade, wie schwer es wohl sein muss, all diese Subtextinformationen und Spezialgruppenslang-Ausdrücke zu verstehen, wenn man selbst die sprachliche Grundlage vielleicht nur mäßig beherrscht? Oder andersrum, man damit konfrontiert wird, sich in eine spezielle Gruppe integrieren zu müssen, bevor man die Chance hatte, die Basics zu lernen?

Wenn ich mich recht entsinne, ist die Sprache eines der Hauptmerkmale, wenn es um die Zugehörigkeit zu einer kulturellen bzw. ethnischen Gruppe geht. Sie schöpft kulturelle Identität wie kaum etwas anderes. Und sie trennt Völker; womit wir schon wieder bei der Babylonischen Sprachverwirrung wären. Man kann schwer bestreiten, dass es um die Kenntnis unserer Muttersprache nicht gerade zum Besten steht. Und damit meine ich nicht nur Mitbürger mit Migrationshintergrund. Wie lausig die Regeln des kontemporären teutonischen Idioms so manchem im Geiste sind, der einen astreinen deutschen Stammbaum sein Eigen nennen darf spottet so mancher pisaesk induzierten Bildungsverbesserungsbemühung mit einer ziemlich langen Nase.

Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. Sie beginnen bei mangelhaften Erziehungsbemühungen in diversen Elternhäusern – und ich kann nicht sagen, das DIES ein rein auf das so genannte Prekariat beschränktes Phänomen ist – setzen sich in einem von Insellösungen durchwirkten, wenig prächtigen Netz aus 16 verschiedenen Schulgesetzen und den daraus resultierenden Reibungsverlusten fort und münden schließlich in einer Verwässerung der Sprache, welche allzu früher Einflussnahme durch Soziolekte, Dialekte und andere lingo-cerebrale Leckagen geschuldet ist. Kinder und Jugendliche imitieren im Allgemeinen das, was ihnen vorgelebt wird. Ein Mechanismus, der das Lernen verschiedenster Dinge erleichtern soll führt so dazu, dass auch die falschen Verhaltensweisen abgeschaut werden. Was bei den Essgewohnheiten super funktioniert, ist natürlich bei der Sprache nicht anders. Warum auch?

Die so entstandenen sprachlichen Divergenzen machen es Newcomern in unserem schönen Lande nicht gerade einfacher, sich unsere Sprache anzueignen und alles in allem ist es auch nicht sehr attraktiv, da es ja schon jede Menge anderer Leute gibt, die hier leben und es bis heute aus den gleichen oder ähnlichen Gründen nicht für nötig befunden haben, unsere Sprache wenigstens soweit zu erlernen, dass man mit ihnen eine vernünftige Kurzkonversation führen kann. Auch das gilt übrigens nicht nur für Mitbürger mit Migrationshintergrund. Man begebe sich zur Prüfung dieser Aussage in etwas, dass es nach Aussagen deutscher Politiker bei uns nicht gibt, von dem aber jeder weiß, wo er in seiner Nähe eines finden kann – nämlich das nächste Ghetto!

Es klingt vielleicht ein wenig abgedroschen, aber kulturelle Identität kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sich Menschen mit der gleichen kulturellen oder ethnischen Zugehörigkeit eben gerne in räumlicher Nähe zueinander ansiedeln. Hat was mit dem Wunsch nach Wohlfühlen in der Nachbarschaft zu tun. Das allein wäre noch kein Problem, wenn nicht die Ureinwohner – übrigens überall auf der Welt – mit einer gewissen Xenophobie geschlagen wären, die dazu führt, dass es NICHT zu einem Grad an Vermischung kommt, von dem vielleicht beide Seiten profitieren könnten, weil diese oft genug ziemlich fluchtartig die Wohngegend zu meiden beginnen bzw. verlassen, in welcher sich DIE ANDEREN anzusammeln begonnen haben. Et voilá: Ghetto! Noch mal zur Erinnerung: dieser Zusammenhang hat nicht unbedingt was mit der Ethnischen Herkunft DER ANDEREN zu tun. Das beschriebene Modell funktioniert z.B. auch für die Gentrifizierung. Wer nicht weiß, was das ist, soll’s bitte googeln.

Es wird also allenthalben divergiert, in der Sprache ebenso wie in den sonstigen sozio-kulturellen Merkmalen und darum ist Divergenz für mich ein so schönes Fremdwort. Wir haben hier nämlich noch lange keine Integrationsgesellschaft und werden auch nie eine haben, so lange Menschen in einer großen Breite durch alle Bevölkerungsschichten nicht lernen, ihre Angst vor dem Fremden an sich zu zügeln – welche Darreichungsform es auch haben mag.

In einer Divergenzgesellschaft zu leben kann aber auch sein Gutes haben, denn es nötigt mich, so ich denn dazu bereit bin, mich mit meinen Nachbarn und meinen irrationalen Ängsten vor denen auseinanderzusetzen. Dabei lernt man eine Menge Dinge – nicht nur über sich selbst, sondern auch seine Nachbarn. Wenn man dann noch die Kraft findet, wenigstens ein bisschen über seinen Schatten zu springen und ab und an ohne oder wenigstens nur mit geringer Vorurteilsbelastung den Dialog zu suchen, sind wir verglichen mit der heutigen Situation schon auf einem Expressweg zu mehr Integration. Darüber, das Integration im Übrigen nicht bedeutet, dass jeder unserer „Leitkultur“ huldigen muss, unterhalte ich die werte Zuhörerschaft bei einer anderen Gelegenheit. Zum Abschluss nur soviel; wenn ich Deutscher beim Essen schon so gerne Multikulti bin, dann muss ich mich doch ernsthaft fragen lassen, wieso mir der Mann hinter der Theke, der mir meine Mafiatorte oder meinen Döner reicht so suspekt sein soll…

Denken sie wohl, bis zum nächsten Mal!

Recyclingkreativität – gibt’s sowas überhaupt?

Es gibt offensichtlich in der englischsprachigen Welt eine Bewegung unter Künstlern und Kritikern, welche sich der Idee verschrieben hat, dass jedwede Art von Kunst nicht viel mehr ist als – wenn auch hoch entwickelter – Plagiarismus. Nicht in einem negativen Sinne, sondern eher aus einer Sicht auf die Kunst- und Kulturgeschichte heraus, welche den Verdacht nahe legt, dass alles irgendwie schon mal da gewesen ist und dass echte Innovativität und kreatives Genie Mythen sind, da Schöpfung ex nihilo anscheinend wohl außerhalb der menschlichen Möglichkeiten liege.

Meine Lesart ist – und nicht nur, weil ich selbst schon publiziert habe und dies auch fürderhin tun werde – nicht kongruent. Die Idee, dass der Mensch, bzw. der Künstler stets lediglich verwertet, was andere vor ihm gedacht und erschaffen haben, dass er so quasi nur recycelt, dass alles Neue mehr oder weniger direkt aus Altem entsteht und somit gleichsam alt ist, entspringt einerseits der Erkenntnis, dass alles Dasein und auch alles Kulturschaffen als in dieses Dasein eingebettet ein Prozess ist, bei dem bestimmte Elemente sehr wohl tradiert oder vererbt werden; andererseits unser heutiger Mediengebrauch das Plagiat quasi befördert, macht doch das Internet Copy-Paste quasi zur einfachsten aller Kunstformen. Früher bedurfte es profunder technischer Kenntnisse um ein einigermaßen brauchbares Bild zu schießen, heute kriegen auch unbedarfte Amateure mit digitalem Equipment und etwas Software Know-How achtbare visuelle Produkte zu Stande. Gleiches gilt auch für das Texten und sicherlich haben sich die Wege des Veröffentlichens dermaßen pluralisiert (und damit auch demokratisiert), dass man das Plagiat schon fast als eigene Kunstform betrachten muss. Doch diese Pluralisierung geht noch weiter. Die Menge an Information und Kunst, die täglich vor meinen Augen und Ohren vorbeizieht, hat sich vervielfacht, so dass die Leute, welche „recreativity“ als Prinzip schöpferischen Tuns deklarieren, jeden Künstler nur noch als Knoten in einem Netzwerk sehen, der mit anderen korrespondiert, deren Signale interpretiert, modifiziert, variiert und weitersendet. Das World Wide Web als Analogie für unser Kulturschaffen. Doch bedeutet diese (gefühlt) fast ubiquitäre Verfügbarkeit älterer Produkte des menschlichen Kulturschaffens tatsächlich, dass wir nicht (mehr) wirklich kreativ sind, sondern stets mit der einen oder anderen Form des Abkupferns beschäftigt sind, gleich wie originell und spannend diese auch sein mögen?

Zum einen vermisse ich einen wichtigen Aspekt der Prozessualität von Leben und (menschlichem) Schaffen, nämlich den der je individuellen wie auch zeitgenössischen Eigenheiten der kreativ tätigen Menschen. Methoden ändern sich, Materialien und Techniken ändern sich; und natürlich ändern sich auch die Menschen. Das was wir als tradierte Güter ehemaligen Kulturschaffens mit uns herum tragen mag eine gewisse Präsenz haben doch es diktiert nicht mein eigenes schöpferisches Tun. Ich nutze geschriebenes, Gemaltes nicht als Blaupause für meine eigenen Werke, so wenig wie die viele andere dies tun. Vielmehr ist diese dem Wandel innewohnende Varianz Motor für Vielfalt, für Innovation. Mag sein, dass einmal Gedachtes oder Gemachtes hie und da seinen Widerhall in den Kreationen kontemporärer Künstler findet, doch dies entwertet die Kunst in keinster Weise, wenn die Idee und Erkenntnis des Künstlers in ihm selbst gereift ist und so seinem Werk zur Kraft gereicht, Idee und Erkenntnis zu transportieren. Wie oft denkt man einen Gedanken, nur um später herausfinden zu müssen, dass ein Anderer diesen auch schon hatte. Dennoch ist der vielleicht auf ganz anderem Wege dahin gelangt und wird für sich reklamieren, von selbst darauf gekommen zu sein, selbst wenn es auch vor ihm schon mal jemanden gegeben haben sollte, usw..

Die eine oder andere Idee kommt immer wieder zum Vorschein und gewisse künstlerische Motive werden ja sogar als Standardtypen an der Kunstschule gelehrt. Doch das macht Kunstschaffen nicht zum Plagiarismus, denn das Werk ist immer Spiegel des Individuums, welches es geschaffen hat und eben dieses Individuum ist immer selbst dauernd im Wandel befindliches Produkt eines Prozesses, der so sehr von Zufällen und Chaos bestimmt ist – nämlich unserem Leben – das die Ergebnisse der kreativen Arbeit – natürlich unter bestimmten Voraussetzungen wie etwa Talent, Fähigkeiten, etc. – mindestens so spannend sein werden, wie das Leben selbst.

Mit Sicherheit verfangen einige Aspekte der Idee von der Recyclingkreativität, sie jedoch als ausschließliches Prinzip der Kunstschöpfung zu deklamieren, um gleichzeitig die Existenz von wahrer Kreativität, vulgo des schöpferischen Genius zu negieren, nur weil das Internet nach und nach einige Modi des Kulturbetriebes verändert, halte ich für drastisch übertrieben. Mit Sicherheit ist an der Idee vom Künstler als Empfänger/Transmitter, als Knotenpunkt im Netz(werk), der Signale – oder besser im semiotischen Sinne Symbole – dekodiert, interpretiert, modifiziert, usw. insofern etwas dran, als wie bereits oben erwähnt eine Demokratisierung des Kulturbetriebes mehr Menschen in die Rolle des kreativen (Inter)Akteurs gebracht hat; Menschen, die sicherlich oft viel Enthusiasmus, aber wenig Erfahrung und kaum formale Kenntnisse mitbringen. Aber auch für diese Leute gilt, dass sie als Individuen je eigene Algorithmen der Symbolinterpretation/Kodierung mitbringen, die auf mittlere Sicht eher einen Gewinn darstellen dürfte, denn eine „Verwässerung“ des künstlerischen Schaffens.

Abschließend würde ich sagen, dass Kreativität zu fast gleichen Anteilen aus bewusstem Recycling, einer Beeinflussung durch tradierte Kulturerfahrungen und Originalität besteht. Kontemporäres kreatives Arbeiten aber als reines „Remixen“ zu betrachten, rechtfertigt diese Erkenntnis in keinem Fall. Viel Spaß bei der Suche nach einer eigenen Meinung.