Ich habe ein neues Lieblingshasswort: Achtsamkeit! Oh, wie ich mich freue, wenn die Medien, in diesem Fall namentlich der Stern, einen neuen Trend ausgemacht haben und dann voll auf der Welle surfen, um sich möglichst hipp und lebensnah positionieren zu können. Ist aber doch auch so, dass die Menschen ja wirklich viel zu wenig Acht auf sich geben. Sie essen zu viel, sie essen das Falsche, treiben zu wenig Sport, haben zu viel Stress, zu große Karrieresorgen, werden zu oft krank, blablablablabla…
Ja, die Menschen haben Sorgen; zum Beispiel, dass unsere Politiker immer weiter unsere Zukunft verbrennen, um jetzt auf Pump Jenen, die sowieso schon vollauf saturiert sein müssten, noch ein paar schöne Schaufeln obendrauf legen zu können. Oder dass man sich anschickt, die Bürgerbevormundung noch ein bisschen auszubauen, anstatt sich mal dazu zu äußern, was für Konzepte denn nun tatsächlich zu nachhaltigerem Wirtschaften führen könnten. Dass sich niemand traut, der nach wie vor Amok laufenden Finanzwirtschaft sinnvolle Beschränkungen aufzuerlegen, da sie doch eh nichts anderes tut, als Scheinwerte zu generieren, denen keine effektive Wertschöpfung gegenüber steht. Dass Lobbyismus einen höheren Stellenwert genießt, als das Gemeinwohl. Und so weiter und so fort.
Ich lebe selbst nicht so gesund, wie es gut für mich wäre, was allerdings nicht dem Umstand zu verdanken ist, dass ich dafür kein Problembewusstsein hätte, sondern dass auch mich der Stress zu manchen Zeiten aufzufressen droht, dass ich an manchen Tagen vor Sorgen kaum ein noch aus weiß und beim besten Willen keine Energie aufbringen kann, jetzt ins Fitnessstudio zu rennen, denn auf meinem Schreibtisch wartet Lektüre für’s Studium, weil lebenslanges Lernen das Modell ist, mit dem die EU zu einem wettbewerbsfähigeren Wirtschaftsraum werden will; woraus folgt, dass ich auch wettbewerbsfähiger werden muss, sonst ist es irgendwann Essig mit dem Lebensunterhalt. Ich habe keine Karrieresorgen, ich habe Existenzsorgen – und deswegen habe ich Stress, werde krank und esse das Falsche und davon auch noch zuviel. UND ich bin mir dessen bewusst.
Ich habe kein Problem mit der Achtsamkeit, ich habe ein Problem damit, dass jeder meint mir sagen zu müssen, worauf ich jetzt gerade Acht zu haben hätte, ohne jedoch zu wissen, was jetzt für mich gerade Priorität hat. Wenn diese ganzen Konsumverblendeten Lifestylebesserwisser endlich mal die Schnauze halten und sich echten Themen widmen würden, fänden vielleicht mehr sinnvolle Dinge ihren Weg zwischen Deckblatt und letzte Seite. Zweifellos kommt den Medien auch eine gewisse Bildungsfunktion zu, aber so lange die Entfremdung von der Lebensrealität des weitaus größten Teils der hiesigen Bevölkerung immer noch auf gleich bleibend hohem Niveau stagniert, stünde es manchen Printmedien besser zu Gesicht, auf den erhobenen Zeigefinger zu verzichten. Überdies – und das ist wirklich ein wichtiger Aspekt von Achtsamkeit – kommt man viel zu selten zu dem Schluss, dass wir vor allem Achtsamer MITEINANDER umgehen sollten. Denn das Soziale ist der einzige Ort, wo nachhaltig wirksame Achtsamkeit entsteht – auf einander, auf meine Umwelt und schließlich auch, gleichsam als Reflexion, auf mich selbst! Au Revoir!