Werte-Gemeinschaft – Part III

Natürlich war das etwas überspitzt gestern, andererseits bin ich nicht der einzige, der auf diese Art argumentiert. Die Tage hatte jemand ein Bild des zerbombten Aleppo gepostet, mit dem Untertitel versehen, dass es gute Gründe gebe, Syrien zu verlassen. Die Antwort waren Bilder von verschiedenen deutschen Städten 1945, geschmückt mit dem – hier sinngemäß wiedergegebenen – Hinweis, dass unsere Leute aber dageblieben wären und die Scheiße wieder geflickt hätten. Na ja, wohin hätten sie auch gehen können, nachdem zum Beispiel alle östlichen Nachbarn die auf ihrem Territorium lebenden Volksdeutschen in Flüchtlingstrecks gezwungen oder sie gleich „entsorgt“ hatten. Immerhin war dieser Krieg aber auch schon vorbei. Für die Menschen aus Syrien gilt, der Krieg ist nicht vorbei! Nein, im Gegenteil führt die eigene Regierung Krieg gegen ihr Volk (ich nenne das auch Terrorismus) und die Menschen haben, Gott sei Dank, Alternativen. Sie können ihr Land verlassen. Weil aber rings um sie herum in der arabischen Welt nur failed states oder autoritäre Regimes zu finden sind, fliehen sie nach Europa. Würde ich auch so machen, wenn ich könnte. Aber das ist nicht, worum es hier im Kern geht.

Es geht im Kern vielmehr um die Frage, wie viel Leid ich zu Hause schon erlebt oder noch zu erwarten habe, wenn ich mich auf einen gefahrvollen Weg mache, mich dem Risiko des Ertrinkens, Verhungerns, Erstickens, Verdursten, ermordet Werdens aussetze, nur um am Ende dieser schier endlosen Wanderung mit nichts als den Kleidern am Leib und einem Handy (der einzigen verbliebenen Verbindung zu Familie und Freunden) in einer Lagerhalle abgesetzt zu werden; umgeben von Anderen, denen wie mir nur die Hoffnung auf die Gnade einer, zumindest dem Anschein nach seelenlosen Bürokratie bleibt, welche in Verbindung mit der Präsenz von Sicherheitsleuten und Polizisten sicher verdammt bedrohlich wirkt. Und schon bin ich wieder gefangen in einem System, in einem Wettkampf um Ressourcen und die Anerkennung meiner Verzweiflung. Zu viel Tränendrüse? Ja dann redet doch mal mit den Menschen, anstatt sie einfach nur hängen zu wollen!

Der Kern berührt die Frage nach Heimat. Was einen dazu bewegt sie zu verlassen, oder sie wortwörtlich mit Blut zu verteidigen. Ich habe gestern implizit erklärt, dass unsere Gesellschaft keinen anderen Wert anerkennen würde, als den des Geldes. Das ist zwar nicht vollkommen erlogen, es ist aber auch nur eine Seite der Medaille. Selbstverständlich gibt es jede Menge Menschen – gegenwärtig würde ich sogar vermuten, dass es die Mehrzahl ist – welche die Flüchtlinge bei uns begrüßen und ihnen helfen. Sie tun dies aus den unterschiedlichsten Motiven. Manche aus religiöser Nächstenliebe, manche weil es einfach ihr Job ist, manche weil sie sich etwas davon versprechen und wieder andere, weil sie sich moralisch dazu verpflichtet fühlen. Und manche helfen, weil es von ihnen erwartet wird, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollen und Zweifel daran haben, ob das alles so richtig ist. Was das nun mit Heimat zu tun hat? Nun die Heimat ist da, wo das Herz ist und auch wenn viele Zuwanderungsgegner das wahrscheinlich erst mal in Abrede stellen wollen, auch die Menschen, die da kommen fühlen so. Sie haben eine Heimat aufgegeben, weil es dort einfach nicht weiterging und kommen jetzt hierher mit dem Wunsch, wenigstens auf Zeit bei uns eine neue Heimat zu finden. Jeder, der schon mal einen lieb gewonnenen Ort aufgeben musste, kann dieses Gefühl nachempfinden; das Gefühl zu vermissen und trotzdem weitermachen zu müssen.

Ja, nicht wenige haben keine Vorstellung davon, was sie hier erwartet, dass die BRD vom Paradies doch noch ein Stückchen weit weg ist und sind deswegen, aber auch wegen der Unterbringung und der Anfeindungen frustriert und wütend und traurig. Wäre ich auch. Aber unsere Heimat bietet genug Platz und Chancen für noch ein paar mehr, wenn wir es nur endlich verstehen könnten, dass wir miteinander gegen die Ungerechtigkeiten zu streiten haben, die unsere „Eliten“ uns jeden Tag auferlegen. Keiner hier muss Angst haben, weniger abzubekommen, weil jetzt mehr Asylanten zu uns kommen. Die Undemokraten konstruieren einen Kampf um mehr Verteilungsgerechtigkeit auf dem Rücken jener, die sie noch schwächer wähnen, als sich selbst, nämlich der Migranten.
Heimat ist, wo das Herz ist und tatsächlich schlägt mein Herz für Deutschland, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nur dem glücklichen Zufall zu verdanken ist, dass ich hier geboren wurde. Ich bin stolz auf mein Land, weil es einen weiten Weg gegangen ist und sich besser entwickelt hat, als viele andere. Aber in erster Linie bin ich stolz auf die Mitbürger, die Heimat nicht mit Nationalität verwechseln, sondern wissen, dass wir das Glück der Geburt im Sinne der Solidarität und der Menschenwürde mit anderen zu teilen verpflichtet sind. Die Nationalität ist nur ein künstliches Konstrukt, erschaffen um die Untertanen auf den Dienst am Vaterland zu verpflichten. Heimat jedoch ist das Gefühl der Liebe zu dem, was man am Ort seines Lebens zusammen mit allen für alle erschafft – und das Wissen um die Vergänglichkeit dieser Schöpfung.

2 Antworten auf „Werte-Gemeinschaft – Part III“

  1. Stimme ich zu! Einziges Detail: auch Deutsche und zwar hunderttausende sind im zweiten Weltkrieg geflüchtet. Das waren Sozis, Kommunisten, Juden, Sinti und Roma, Andersdenkende, Schwule…. die hatten hier das zu erwarten, was den syrischen Oppositionellen in ihrer Heimat auch droht: den eigenen Tod und den ihrer Familien.

  2. Lieber Zimbo,
    ich komme nicht um hin mal was zu schreiben.
    Wir sollten die momentane Situation mal nüchtern betrachten.
    Wir, die Deutschen, verdienen ein Arsch voll Geld mit unseren Waffen. Kein Konflikt auf dieser Welt ohne das gute alte G 3 (habe ich selbst schon bei kenianischen Rangern im Nationalpark am Mount Elgon gesehen) Das wir Panzer an die Saudis verkaufen ist ja auch klar, U-Boote bekommt wer zahlt und wer nicht zahlen kann bekommt alte ausgemusterte Panzerabwehrsysteme geschenkt (Kurden).
    Nun wird es aber interessant, da stellt sich die Kanzlerin hin und verkündet „Ihr Kinderlein kommet“ Ich kann mich noch genau an den Tag im September erinnern als in Budapest die Migranten Richtung Autobahn gelaufen sind. Denke du hattest da auch Dienst und ich habe da schon gesagt, momentan wird gerade Geschichte geschrieben, Tragweite vergleichbar dem Mauerfall, nein die Tragweite ist unbekannt.
    Wir werden in der nächsten Zeit Veränderungen erleben die wir uns nicht wünschen.

    Die Migranten werden nicht aus Nächstenliebe ins Land gelassen, es ist das zukünftige Präkariat, das den Mindestlohn von 8,50 Euro spengen wird und für kleines Geld für die Reichen in der Republik arbeiten wird.
    Es sind 100 Tausende von Menschen im Land die nicht erfasst sind, da sie sich nicht in die staatlichen Auffanglager begeben haben. Die Politik wird mit Straßensperren/Checkpoints reagieren, wir werden bei einer Fahrt von Mannheim über den Rhein nach Ludwigshafen unsere Ausweise zeigen müssen, damit die Menschen nachträglich registriert werden. Es wird ein Europa der Grenzen werden… ach ja der Schwiegervater von meinem Bruder kann nicht mit dem Zug von Waldenbuch nach Ungarn in die Heimat fahren….Fernverkehr der Bahn auf der Balkanroute ist eingestellt, von München nach Salzburg fährt nur noch eine Privatbahn. Das ist nicht mein Europa. Ich bezeichne mich als Europäer mit der Heimat Kurpfalz und einem deutschen Pass.Ich liebe es vom Nordkap bis Süditalien ohne Ausweis zu fahren. Und diese Freiheit möchte ich nicht verlieren!

Schreibe einen Kommentar zu Jochem Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert