Medialer Krimtartar

Auf der einen Seite die braven Vertreter des Regierungspolitikkonformismusflügels, die den so genannten Volksvertretern nach dem Munde reden, damit sie auch ja eine Akkreditierung für die nächste Bundespressekonferenz bekommen. Auf der anderen Seite Jene, die sich nur allzu gerne als unabhängig, als querdenkend, als besser wissend gerieren; und dazwischen? Eine Menge Menschen, die keine Ahnung haben, was sie denn nun tatsächlich wissen oder glauben sollen. Worum es geht: natürlich die Krimkrise! Die nordatlantischen Bündnismächte rasseln mit ihren Säbeln, zwar nicht so laut, als wenn immer noch 1980 wäre, aber man lässt Muskeln spielen, aus dem schon seit Jahrzehnten geopolitisch entwerteten Kalkül heraus, Wladimir Putin Angst vor seiner eigenen Courage bekommen zu lassen. Ihn davon abzuhalten, seine in weiten Teilen äußerst maroden Streitkräfte zu mobilisieren und so eine Eskalation unabsehbaren Ausmaßes abzuwenden.

Doch die Drohkulisse ist von beiden Seiten hohl, denn wenn Putin tatsächlich die Ukraine en complet, oder auch nur die Ostukraine zu annektieren versuchen sollte, wird wenig passieren, außer möglicherweise ein bisschen schärfer klingenden Protestnoten von den üblichen Protagonisten (also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA und noch ein paar, die sich wichtig wähnen) und einem „Du Böser, Böser…“ vom UN-Sicherheitsrat, wobei Letzteres noch nicht mal sicher ist; schließlich ist Russland dort Veto-Macht. Die Krim hat er ja schon, die wird man ihm wohl kaum militärisch streitig machen, denn sie hat nur für die Russen und die Ukrainer einen echten strategischen Wert. Und der Rest der Ukraine? Ist wirtschaftlich noch angeschlagener als Kernrussland, warum also annektieren, wenn es dort nichts zu holen gibt außer hungrigen Mäulern? Auch ein stolzer Nationalist wie Putin muss seine Rechnungen bezahlen und die sind nicht eben gering.

Und die Drohgebärden der Nato-Partner? Tja nun, die Ukraine ist kein Nato-Mitglied und damit ist kein Bündnisfall eingetreten. Verstöße gegen das Völkerrecht? Also, wie soll ich sagen; erstens ist alleine die Behauptung schwer zu beweisen, weil es niemals zuvor einen ukrainischen Staat gegeben hat, er ging erst aus dem Zerfall der Sowjetunion hervor und war schon immer ein zerbrechliches Konstrukt. Und zweitens: die Amerikaner ahnden Völkerrechtsverstöße mit Waffengewalt? Da sollen sie doch bitte erst mal bei den Eigenen anfangen… das trifft mehr oder weniger für jeden andere Bündnispartner eben so zu, weswegen das lautstarke Drohen mit weitreichenden Sanktionen nicht mehr ist, als ein Papiertiger, der alsbald in Flammen aufgehen wird. Mit Schäden für die russische Wirtschaft drohen ist ebenso dumm, wenn man weiß, dass unsere Weltwirtschaft in sehr mannigfaltiger Weise global verflochten ist und derartige Aktionen Auswirkungen hätten, die ebenfalls kaum abschätzbar wären. Russland könnte sich wirtschaftlich etwa noch mehr nach Asien orientieren; und dann? Tja, auch das kann niemand seriös vorhersagen. Also wird man versuchen, den Status Quo, so bescheiden er sich auch darstellen mag, zu konservieren.

Die Medien spielten bei diesem Durcheinander von Anfang an eine wenig ruhmreiche Rolle; haben sich doch große Teile der hiesigen Berichterstatter allzu schnell als scharf machende Gesinnungsgenossen der dominierenden Säbelrassler erwiesen. Und Jene, die sich quasi auf Putins Seite geschlagen haben? In der Tat ist was dran an der Feststellung, dass er auf diese Weise die beleidigte Volkesseele seiner Landsleute zu streicheln und für sich zu gewinnen sucht und das noch nicht mal ungeschickt. Sicher könnte man auch sagen, dass die westlichen Mächte beim Umgang mit dem ehemaligen Feind Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion mit wenig diplomatischem Feingefühl oder Interesse zu Werke gegangen sind. Man hätte früher und intensiver anfangen müssen, Russland als Partner in die westliche Hemisphäre zu integrieren, hätte man den aktuell zu Tage tretenden Zündstoff frühzeitig entschärfen wollen. Hat man aber nicht und jetzt hat es nun mal schon geknallt. Aber auch diese Beobachtungen greifen immer noch etwas zu kurz.

Russlands Bevölkerung wurde – natürlich mit Generationswechseln – aus der Zarenherrschaft durch die Sowjetzeit in die Oligarchie überführt und ist somit nie dem autokratischen Beherrscht-Werden entwachsen. Eine vitale, demokratisch orientierte Zivilgesellschaft konnte auf diesem Nährboden kaum entstehen und auch wenn die Parallelen zur Weimarer Republik allein auf Grund der heutzutage viel weitreichenderen kommunikativen und informativen Vernetzung eher gering sind, so befindet sich Russland doch ebenso bestenfalls an der Schwelle zur Entwicklung echter demokratischer Strukturen. Diesem Umstand wird bislang nicht Rechnung getragen.

Was soll also nun geschehen? Wenn man Russland tatsächlich mit Stärke so beeindrucken möchte, dass Putin es auch versteht, müsste man Dinge tun, die niemand wirklich tun möchte; ’n paar Bömbchen hier, ’ne kleine Seeblockade da – natürlich stets mit dem Risiko, dass plötzlich an unvermuteten Orten Pilze wachsen… oder man lässt es im Moment laufen, sabotiert die russische Propagandadauerberieselung ein wenig, bombardiert die Menschen mit richtigem Wissen und funktionierenden Strukturen und hilft damit vor allem den einfachen Leuten auf die Füße. Dauert länger, kostet mehr, hat aber bestimmt auch mehr Erfolg. Stattdessen werden sie sich einfach noch eine Weile aufschaukeln, bis die Medien eine neue Sau gefunden haben, die sie durchs Dorf treiben können. Dann wartet man halt mal ein Weilchen und dann machen alle weiter wie bisher. Ist schon super, wie unsere Welt funktioniert, nicht wahr? Ich gehe zum Erbrechen mal eben nach nebenan, bis die Tage, ihr Passivisten…

Eine Antwort auf „Medialer Krimtartar“

  1. Sehr guter Beitrag,
    ein paar Gedanken von meiner Seite:
    – Russland, das „Reich des Schreckens“, wollte und versucht seit Jahren die Visavorschriften mit der EU ab zu schaffen. Ein „totalitärere Staat“, der sich bei der EU darum bemüht, dass seine Bürger frei in Europa Reisen können…Was macht die EU, weiterhin Einreisebschränkung mit zahlreichen Schikanen für russische Staatsbürger und nun werden die Verhandlungen bezüglich Visaerleichterungen von Seiten der EU ausgesetzt.
    – Nach Zusammenbruch, oder besser Ausverkauf der UDSSR durch Gorbatschow, verspricht die NATO sich nicht weiter nach Osten auszudehnen. Wenige Jahre später sind Estland, Litauen, Lettland sowie Polen in der NATO.
    – In der Ukraine werden Politiker von der EU und dem Westen (besonders die konservativen Parteien in der EU) protegiert, dennen nichts besseres einfällt als Putin mit einer Knarre zwischen die Augen zuschießen..
    – Im Westen der Ukraine gibt es Gruppen, die im Zuge der von den USA unterstützten „Revolution“ nun in Kiev an der Macht sitzen, deren Antisemitismus und Nationalismus dem, der in unserem Lande historisch bekannten NSDAP nicht entfernt sind. (Mein Stiefgroßvater berichtete mir von seinen „Zwangsreisen“ in den Osten 1941, dass sie von begeisterten Ukrainern, Mädchen mit Blumen, als Befreier willkommen geheisen wurden)
    – Wer sich für Geopolitik interessiert, sollte sich mal fragen, weshalb Finnland nicht in der NATO ist. Den EURO haben sie, sind EU Mitglied – eine mehrere 100 Kilometer lange Grenze mit Russland ist der Grund, dass sie sich an die Absprache aus den 90er halten und sich durch die NATO nicht dem russischen Bären zu nahe an das Fell rücken zu lassen!

    Wie auch immer, das Thema Energie und Rohstoffe, Notwendigkeit des Fracking in der EU um sich von russischem Erdgas unabhängig zu machen möchte ich erst gar nicht beginnen.
    Gruß

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